Leseprobe

Unvergessene Ferienzeit
Erinnerungen an Sommerfrische, Urlaub
und Freizeit. 1923-1962
32 Geschichten und Berichte
von Zeitzeugen ausgewählt aus Zeitgut-Bänden.

Ortsregister, Chronik.
Taschenbuch, 6,90 EUR
ISBN 3-86614-102-5

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[Oldenburg - Neapel, Italien; 1955/56]

Ingeborg Werneken
O mia bella Napoli

Als nach dem großen Kriege zehn Jahre vergangen waren, hatten die Deutschen wieder ein Dach über dem Kopf und sich so richtig satt gegessen, so daß sie begannen, nach neuen Genüssen Ausschau zu halten. Schicke Kleidchen wippten über Petticoats und das „Pferdeschwänzchen", die neue Haartracht, wehte im Wind, wenn die Teenager-Girls sich fest an ihre Boys klemmend mit Tempo 60 auf ihren Motorrollern durch die Straßen brausten. Etwas ältere Semester, wie wir, gesetzt und mit Familie, dachten an ein Auto, ein kleines. Eines Tages stand tatsächlich ein „Käfer", kaum 100.000 Kilometer auf dem Buckel, vor unserer Haustür.

Dann brach das Reisefieber aus. Aus den neuen Radios erklang „O mia bella Napoli" und „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt" und die Germanen starrten wie 2000 Jahre vordem ihre Vorfahren, gebannt auf Bella Italia, denn „Kennst du das Land ..." hatte schon Goethe gefragt. Die erste Blechlawine setzte sich in Gang über die damals noch nicht untertunnelten Berge, rastlos über Schotterstraßen, vorbei an ungeschützten Steilhängen über die Alpen, wie weiland Hannibal mit seinen Elefanten.

In Italien brach die große Freude aus. Campingplätze wurden angelegt, die ersten Bettenburgen, drei bis vier Stockwerke hoch, reckten sich gen Himmel. Und wenn abends beim Mandolinenklang die Nachbarn aus dem kalten Norden es gar so schlimm trieben in trunkener und ungewohnter Weinseligkeit, sprach man hinter vorgehaltener Hand schon mal vom „Furor(e) Teutonicus", denn seit 2000 Jahren hatten die zarten und feinsinnigen Südländer den Sturm, der damals über sie hinwegbrauste, nicht vergessen.

Meine beiden Töchter vor einem Kiosk in Italien mit einem Mickymaus-Heft auf Italienisch.

Um mehr und immer mehr dieser blonden Riesen ins Land zu locken -und lange bevor der Teutonengrill an der Adria Wirklichkeit wurde - gab man Benzingutscheine aus, die den kostbaren Treibstoff ins gelobte Land verbilligten, während die Eingeborenen zähneknirschend einen hohen Preis zahlen mußten. Und - man kennt das ja bei diesen Südländern - sie waren ohne Maß und Ziel und verschwendeten die Marken mit vollen Händen. Daraus entwickelte sich eine Art „Geschäft", von Nutzen für beide Seiten: Man brauchte bei der Reiseplanung nur „vier Wochen Sizilien" anzumelden, um verbilligte Bons für 3000 Kilometer zu erhalten. Tatsächlich fuhr man nur bis zum Gardasee und verkaufte die überflüssigen 2000-Kilometer-Marken mit Aufpreis an die schon wartenden Italiener. So mancher deutsche Urlauber finanzierte auf diese Art einen Teil seines Urlaubs. O bella Italia!

Wir gehörten selbstverständlich nicht zu jener Sorte von Zeitgenossen. Oh nein, wir fuhren bis Neapel und hatten, na sagen wir mal, Marken bis Salerno. Reine Vorsorge, versteht sich. Man benötigte ja auch Benzin zum Hin- und Herfahren, denn ich mochte keine Stadt verlassen, ehe ich nicht sämtliche Kirchen und Museen von innen bestaunt, jeden Marktplatz besichtigt und an jeder Ausgrabungsstätte heimlich gebuddelt hatte. Zum Leidwesen unserer beiden Töchterchen, deren kleine Beinchen manchmal nicht mehr mitlaufen wollten.

So zogen wir träumenden Herzens, den alten VW bis übers Dach beladen mit Zelt, Gaskocher, Bettwäsche und zwei kleinen Blondschöpfen, auch im Jahr 1956 durch das gelobte Land voller Sonne, Wärme, Wein und Papagalli immer weiter nach Süden. Wir kamen nach Herculaneum, und besichtigten dann die Ausgrabungen in Pompej. In das berühmte Freudenhaus mit den obszönen _ heute nennt man das erotisch _ Wandmalereien durften nur die Männer eintreten, ich mußte vor der Tür bleiben, die Kinder natürlich auch. Alles ging gesittet zu, niemand wäre im Badeanzug in den Speisesaal oder über die Straße gegangen, und für Besichtigungen hatte man seine Sonntagskleidung mit.

„Neapel sehen und dann sterben" - heißt es. Ein besonderes Andenken sollte mich zehn Jahre lang an unseren Urlaub 1956 erinnern.

In Napoli, wo der Vesuv gerade „streikte" und die berühmte Rauchfahne nicht über der Bucht stand, wollte ich wenigstens das vielbesungene „Santa Lucia" sehen, das Hafenviertel. Ich ahnte ja nicht, was uns dort erwartete: Hütten aus Blech und Pappe, bettelnde Kinder, Steinwürfe und Schwarzhändler - späte Kriegsfolgen.

Zwei Uhren wollte man uns verkaufen, eine für Papa und eine für Mama, natürlich aus echtem Gold. Diese Spangenuhr sah wirklich picobello aus, aber 50 Mark waren damals viel Geld. Und überhaupt hatten wir ja unsere Prinzipien: wir kaufen doch keine keine illegale Ware!

Doch als wir mit Müh' und Not und vielfachem „No, no, no!" endlich wieder im Wagen saßen, steckten diese Unermüdlichen, Aufdringlichen ihre schwarzgelockten Schöpfe ins geöffnete Autofenster und flüsterten „Benzinbon".

Was soll ich sagen? Mindestens zehn Jahre hatte ich Freude an meiner „echt goldenen" Spangenuhr, wenn sie auch von Jahr zu Jahr silberner wurde. Aber was soll's, Gold vergeht, Erinnerung bleibt. O mia bella Napoli!


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