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16.30 bis 17.00 Uhr (30 Min.) HR
Die Hölle der Heimkinder
Dokumentation von Marion Eichelmann und Christine Romann

"Die Donnerstage waren am schlimmsten. Ich musste in das Büro des Pfarrers kommen und mich auf seinen Schoß setzen." Es ist das erste Mal, dass Maralda Seipel öffentlich über ihre Kindheit spricht. Mit elf Jahren kam sie in das katholische Heim St. Vincenzstift Aulhausen bei Rüdesheim am Rhein. Was die heute 54-Jährige dort erlebte, traumatisierte sie bis heute. Immer wieder wurde sie vom Pfarrer sexuell missbraucht und geschlagen. Das Heim glich einem Gefängnis. Die Erzieherinnen und Nonnen verbreiteten Angst und Schrecken. Es sind unfassbare Geschichten, und doch gibt es viele davon. Rund 500.000 Kinder lebten in den fünfziger und sechziger Jahren in Kinderheimen in Deutschland. Die Erziehungsmethoden in diesen größtenteils kirchlichen Heimen waren oft menschenverachtend. Systematische Demütigungen und Misshandlungen der Kinder gehörten zum Alltag.

Auch Norbert Büchner gehört zu den misshandelten Heimkindern. Fünf Jahre war er im Kalmenhof in Idstein, eines der berüchtigtsten Heime damals. Schläge, Demütigungen, tagelanges Einsperren und schwere Arbeit auf dem Feld - so sah sein Alltag aus. "Ich flüchtete in eine Traumwelt und dachte immer daran, es wird einmal ein Ende haben. Dann werde ich entlassen." Doch seine Vergangenheit holte ihn immer wieder ein. Durch eine damals unbehandelte Krankheit ist Norbert Büchner heute schwerbehindert und in Frührente. Er lebt zusammen mit seiner Frau und kümmert sich liebevoll um die dreijährigen Zwillingstöchter. Albträume, mangelndes Selbstbewusstsein, Depressionen - die Folgen der Heimerziehung verfolgen Maralda Seipel und Norbert Büchner bis heute. Erst nach über vierzig Jahren schaffen sie es, darüber zu sprechen und ihre Heimakten zu öffnen. Mit "Horizonte" besuchen sie noch einmal die Orte ihrer gestohlenen Kindheit. Sie wollen ihre Geschichte öffentlich machen, um zu verhindern, dass das geschehene Unrecht vergessen wird.

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