Leseprobe

Peter Bannert
Meine Jugend in Sowjetlagern

1945–1949

180 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Broschur
Sammlung der Zeitzeugen Band 29
Zeitgut Verlag Berlin
ISBN 978-3-933336-78-1
12,80 Euro zur Zeit nicht lieferbar, Nachauflage im Frühjahr 2019 in Vorbereitung



[Frühjahr 1945: Nach der Kapitulation der Stadt Breslau werden die deutschen Soldaten - darunter auch Peter Bannert - sowjetische Kriegsgefangene] Auszug: S. 97–99

Am 9. Mai erfuhren wir von der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Mit einem dumpfen Gefühl nahmen wir die niederschmetternde Nachricht auf. Natürlich kam sie nicht unerwartet, dennoch bedrückte uns die endgültige Niederlage. Jetzt glaubte ich, die Worte des Generals Niehoff zu verstehen, die er drei Tage zuvor zu uns gesprochen hatte. Mit seiner Kapitulation hatten wenigstens für uns einige Bedingungen ausgehandelt werden können! Flucht lohnte sich also nicht.

Unsere Bewacher jubelten über die Nachricht, die uns traurig stimmte. Endlich endete ihr weiter Weg von der Wolga bis hierher, und sie lebten! "Woina kaputt! Gitler kaputt!" riefen sie, wobei sie ihre Mützen in die Luft warfen.

Ein Bärtiger klopfte mir auf die Schulter, ich sollte mich auch freuen.
"Ja - kaputt"‚ murmelte ich betrübt.
Ein Gespräch entwickelte sich: "Wie alt bist du?"
Unsere Finger halfen, die auf russisch gestellte Frage nach meinem Alter zu verstehen.
"Fünfzehn Jahre", antwortete ich.
Er wiegte bedächtig den Kopf. Dann äußerte er etwas Erstaunliches: "Gitler i Stalin tak!" Dazu bewegte er seine Hand auf unmißverständliche Weise zum Hals. Daß er Hitler haßte, war verständlich, aber daß auch Stalin in seinen Augen an den Galgen gehörte?

Bei einer anderen Gelegenheit unterhielt ich mich mit einem jüngeren Russen, der etwas deutsch verstand. Auch von ihm vernahm ich Seltsames: Ich fragte ihn, wie lange wir gefangen bleiben würden, und er antwortete, da in der Sowjetunion alles nach Fünfjahresplan ablaufe, würden wir wohl nach fünf Jahren wieder freikommen. Ich lachte und glaubte ihm nicht. Er war auch der Meinung, daß Deutschland in fünf oder zehn Jahren wieder groß und stark sein würde, doch auch das konnte ich mir nicht vorstellen.

Im Lager Fünfteichen
Endlich, am dritten Tag unseres Marsches, erreichten wir gegen Mittag unser Ziel, ein großes Lager unweit des Dorfes Fünfteichen. Angesichts der Nähe zu Breslau verstanden wir nicht, weshalb wir drei Tage und Nächte lang marschiert waren.

Einmal mehr bewahrheitete sich der Landserspruch: "Die meiste Zeit seines Lebens wartet der Soldat vergebens!" Stundenlang saßen wir auf dem Feld vor den Lagertoren. In der Nähe stand ein verlassener Verpflegungswagen, niemand schien ihn zu beachten. Einige Kameraden und ich inspizierten ihn, und wir erbeuteten Zucker, Haferflocken und Kaffeeschrot. Diese drei Ingredienzien vermischten wir im Kochgeschirr miteinander - das ergab eine marzipanartige Speise. Ich erinnerte mich daran, wie wir in den ersten Kriegsjahren zu Hause einen wohlschmeckenden Marzipanersatz aus Grieß, Zucker, Milchpulver und Kakao zubereitet hatten. Unsere Fünfteichner Mischung schmeckte zwar erheblich trockener, dämpfte aber für eine gewisse Zeit unser Hungergefühl. Wir bekamen großen Durst, den wir an einem Wasserwagen stillen konnten.
Zur Verrichtung unserer Notdurft drückten wir uns an den Stacheldrahtzaun. Die Wachtürme waren noch nicht besetzt, daher sah uns dabei niemand. Als Toilettenpapier benutzte ich Geldscheine - in der falschen Annahme, die Reichsmark sei inzwischen ungültig. Doch ich besaß kein anderes Papier, und unweit des Zaunes lagen ausreichend Banknoten herum. Aufgrund einer Lagerparole hatten die Landser ihr Geld weggeworfen, und ich verschaffte mir einen ansehlichen Vorrat dieses "Toilettenpapiers".

Im Laufe des Tages ließ der Gebietsführer Hirsch die Kampfgruppe Hitlerjugend im Karree antreten. Er sprach einige Dankesworte und gab Beförderungen bekannt. Er selbst war zum Leutnant aufgestiegen, Leutnant Lindenschmidt avancierte zum Oberleutnant. Da die HJ-Dienstränge bald nicht mehr anerkannt würden, wandelte man sie in militärische um. "Damit ihr mit einem vernünftigen Rang nach Hause kommt!"

Wie die meisten von uns wurde ich so mit meinen fünfzehn Jahren zum Gefreiten. Manchmal nannte ich mich selbst scherzhaft "des Führers jüngsten Gefreiten". Hitler selbst hatte es in vier Jahren des Ersten Weltkrieges nur bis zum Gefreiten gebracht - ich besaß nun den selben Rang schon nach vier Monaten! Feldwebel Stosiak verlieh mir das Eiserne Kreuz zweiter Klasse. In Ermangelung des eigentlichen Kreuzes überreichte er mir ein Stück Ordensband, das ich am Knopfloch befestigte.

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