Leseprobe

Als wir Frauen stark sein mußten
Erinnerungen 1939-1945
45 Geschichten und Berichte von Zeitzeuginnen

Zeitgut Auswahl
384 Seiten mit vielen Fotos,
Bilddokumenten und Karten, gebunden,
Zeitgut Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86614-137-7,
Euro 9,95



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Leseproben aus dem Buch
Als ich meine Oma zu uns holte - Hannelore Mishal
Briefe an Franzl
- Clare Varner-Rassmann
Inhaltsverzeichnis


[Poggenhagen bei Neustadt am Rübenberge, Raum Hannover – Duisburg, Ruhrgebiet; 1943]

Als ich meine Oma zu uns holte
Hannelore Mishal

Alle meine Verwandten wohnten in Duisburg oder in Ruhrort. Wir waren die einzigen aus der Familie, die dort weggezogen waren, zuerst nach Hannover und später aufs Land in ein kleines Dorf am Moor. Poggenhagen hieß es. Im Krieg gab es auch hier sehr oft Fliegeralarm, denn die feindlichen Bomber flogen über uns hinweg nach Hannover. Wir standen dann mit Nachbarn auf der Straße, denn einen Luftschutzraum hatten wir nicht. Wir konnten sehen, wenn die „Christbäume“ über Hannover standen und hörten, wenn dort die Bomben fielen. Die „Christbäume“ waren Leuchtkugeln, die den Piloten ermöglichten, Einzelheiten unten in der Stadt zu erkennen.

In Ruhrort und Duisburg fielen die Bomben Nacht für Nacht. Die Menschen dort schwebten ständig in großer Lebensgefahr. Mehrmals in einer Nacht flogen immer neue Bombergeschwader über die Stadt und ließen ihre tödliche Fracht hinunterfallen.

Eines Tages erhielten wir einen Brief von meiner Tante Martha:

Oma hält es hier nicht mehr aus!
Bitte, kommt und holt sie!“

„Lore, das machst du“, sagte meine Mutter. Ich war damals 19 Jahre jung.

Also fuhr ich nach Duisburg. Meine Tante holte mich vom Bahnhof ab. Dann fuhren wir mit der Straßenbahn nach Ruhrort. Wie sah das hier überall aus! Trümmer über Trümmer! An einer Hauswand, die stehengeblieben war, hing ein großes Foto mit drei fröhlichen Kindergesichtern. Meine Tante deutete auf den Schuttberg, der sich vor dieser Wand auftürmte. „Die liegen noch darunter“‚ erklärte sie. „Man hat sie bisher nicht bergen können.“

Ich liebte Tante Martha sehr. Sie war ein liebenswerter fröhlicher Mensch. Wie oft hatten wir bei meinen früheren Besuchen zusammen gelacht. Aber heute war sie bitterböse und schimpfte auf die Nazis. „Wie die sich aufführen, das ist eine Schande! Und was haben die mit den Juden gemacht! Hier am Markt wohnte eine Judenfamilie, da haben sie das Klavier aus dem ersten Stock auf die Straße geworfen.“
„Ich glaube, in Poggenhagen wohnen keine Juden“, sagte ich erschrocken.
„Ihr lebt wohl auf dem Mond?“, fragte meine Tante. „Kommt mal zu uns, da gehen euch die Augen auf.“
Ich wunderte mich, meine Eltern sprachen nie über Politik, jedenfalls nicht in meinem Beisein. Hatten sie keine eigene Meinung so wie meine Tante?

Wir besuchten meinen Onkel. Dessen Haus war von einem Blindgänger getroffen worden. Ein riesiges Loch klaffte in jeder Etage bis zum Keller hinunter.
„Kann die Bombe nicht doch noch explodieren?“ wollte ich wissen.
„Die ist entschärft worden“, erklärte mein Onkel.

Ein anderer Onkel war unter den Trümmern eines Hauses verblutet. Die Trümmer hatten ihm ein Bein abgeschlagen. Unglück und Todesangst und nie genügend Schlaf – kein Wunder, daß meine alte Oma das nicht mehr ertragen konnte.

In der Nacht erlebte ich selber einen Fliegeralarm. Die Sirenen heulten schaurig in die Straßen hinunter, das ging durch Mark und Bein. Aus allen Häusern rannten die Menschen, und wir rannten hinterher. Ja, es wurde Zeit, daß die Oma hier wegkam.

Der Tag der Abreise rückte heran. Wir fuhren mit der Straßenbahn nach Duisburg, gingen zum Bahnhof, suchten unseren Bahnsteig – und blieben erschrocken stehen!
Er war schwarz voller Menschen! Sie standen dicht an dicht bis an die Bahnsteigkante. Wollten die alle Duisburg verlassen?

Wir hatten meine Oma zwischen uns genommen. Sie sah so klein und dünn aus in ihrem schwarzen Mantel. Ihre weißen Haare hatte sie in ein strenges Zöpfchen geflochten und am Hinterkopf zu einem kleinen Knoten aufgesteckt. Darauf thronte ein hoher schwarzer Hut. Wir versuchten, weiter nach vorn zu gelangen. Aber das war äußerst schwierig. Alle wollten gern so weit wie möglich vorne stehen. Es gab ein großes Gedränge Richtung Bahnsteigkante.


Gedränge und Geschubse, denn alle wollen mit dem Zug mitfahren.

„Wir kommen nicht mit!“ jammerte meine Oma.

Es sah ganz danach aus, als hätte sie recht. Nun fauchte der Zug langsam in die Bahnhofshalle herein. Er stand noch nicht, da rissen die Leute schon die Türen auf und sprangen hinein. Alles drängte vorwärts. Wir wurden mitgeschoben. Die Menschen schrieen und schubsten meine Oma und mich bis ganz nach vorn, genau vor ein offenes Abteilfenster.

Plötzlich packte ein Mann, der neben uns stand, meine Oma, hob sie in die Höhe und schob sie kopfüber durch das offene Fenster. Sie landete auf den Köpfen und Schultern der Leute, die dicht an dicht den Gang und die Abteile füllten. Sie wurde weitergereicht. Ihre schwarzbestrumpften Beine waren das Letzte, was ich von ihr sah. Der hilfsbereite Herr schob auch noch ihren Koffer hinterher. Schon hatte ich die Hoffnung, daß er mir auf dieselbe Art behilflich sein würde, da schwang er sich selber in das Fenster hinein. Jetzt war der Zug restlos vollgestopft. Keine Maus paßte mehr hinein.

Männer, zu allem entschlossen, kletterten nun auf das Dach des Zuges. Andere klammerten sich außen fest, standen auf den Treppenstufen. Ein Fußbreit war noch frei auf einer Treppe – ein Satz, und schon stand ich darauf, hielt mich mit einer Hand an der Eisenstange fest und preßte mit der anderen meine Reisetasche an mich.

Der Zug fuhr ab. Irgendwo auf dem Bahnsteig stand meine Tante und starrte uns mit großer Sorge nach.

Ich klammerte mich fest und bemühte mich, so stehenzubleiben. Erst in diesem Augenblick wurde ich mir der großen Gefahr bewußt, in der ich mich befand. Ich wagte keinen Blick nach rechts und links. Der Wind pfiff scharf an mir vorbei. Er wirbelte kleine spitze Steinchen auf. Die prickelten auf meinen Armen und im Gesicht.

Auf der nächsten Station stiegen einige Fahrgäste aus. Da gelang es mir, in den Zug hineinzukommen. Eingeklemmt zwischen vielen Menschen, sah ich mich nach meiner Oma um. Schon bald merkte ich, wo meine Oma war. Immer, wenn sich ein Reisender einen Weg durch die Menschen bahnte, um zur Toilette zu gehen, wurde zuerst jemand mit einem schwarzen Hut aus dem Toilettenraum hinausbefördert. Das war sie.

„Oma!“ schrie ich. „Ich bin hier!“
Der schwarze Hut nickte zum Zeichen, daß sie mich verstanden hatte. Umdrehen konnte sie sich nicht. Als noch mehr Leute ausgestiegen waren, konnte ich in einem Abteil sogar einen Sitzplatz erwischen. Eine Mitreisende erhob sich, um die Toilette aufzusuchen. Ich bat sie: „Bringen Sie doch bitte meine Großmutter mit, wenn Sie zurückkommen. Sie sitzt nämlich dort.“

Kurz darauf kehrte die Dame zurück. Hinter ihr ging, fest an sie geklammert, eine kleine zerknautschte Gestalt mit rotem, erhitzten Gesicht. Meine Oma war wieder da. Ich gab ihr meinen Platz und blieb stehen, bis ich irgendwann auch einen fand.

Die Fahrt bis Wunstorf dauerte vier Stunden. Dort mußten wir in einen Personenzug umsteigen. Jetzt waren es nur noch acht Minuten Fahrt. Poggenhagen war erreicht. Nun lag der weite Weg durch Feld und Wald bis zu unserer Siedlung vor uns. Wie würde die ermattete alte Frau das schaffen?

Meine Mutter ahnte das wohl. Sie stand mit einem Handwagen am Bahnhof. Wir hoben das hintere Brett heraus und setzten Oma hinein. Vorn wurden ihr Koffer und meine Reisetasche hingestellt. Dann faßten wir die Deichsel und zogen los.

„Halt die Beine so hoch wie du kannst“‚ empfahl ich Oma. „Sonst schleifst du mit den Schuhen im Sand.“
Oma hielt die Beine hoch. Mutter und ich mußten bei diesem Anblick schrecklich lachen. Meiner Oma war es wohl nicht so zum Lachen zumute. Manchmal grinste sie ein bißchen und sagte: „Lacht nur, ihr zwei, mit mir könnt ihr‘s ja machen.“

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[Arras, Nordfrankreich – Gießen, Hessen –Prora/Insel Rügen;
Juni–Dezember 1944]

Briefe an Franzl
Clare Varner-Rassmann

Seit Mai 1943 arbeitete ich als Nachrichtenhelferin in Frankreich, zunächst in Lille, dann in Arras. Gerade 18 Jahre alt, war ich froh gewesen, diese Stelle zu bekommen, denn wegen des gespannten Verhältnisses zu meiner Mutter wollte ich so schnell wie möglich von zu Hause fort. Die Arbeit gefiel mir. In Frankreich lernte ich auch meinen Freund Franzl Lohmann kennen, der hier als Unteroffizier diente.

Das Foto vom Dezember 1943 zeigt mich als Nachrichtenhelferin in der feldgrauen Ausgehuniform in Lille, Frankreich.
Im Dienst trugen wir graue Kittel. Ich bin 18 Jahre alt.

 

 

 

 

 

Am Morgen des 6. Juni 1944 kamen die Helferinnen, die Nachtdienst gehabt hatten, sehr aufgeregt von der Schicht. Sie berichteten, daß gegen 3 Uhr morgens in der Telefonvermittlung große Unruhe entstanden sei. Alle Klappen seien auf einmal heruntergefallen, so viel hätten sie zu tun gehabt. Es war die Nacht vor der Landung der Alliierten in der Normandie.

Ich hatte erst am Mittag Dienst. Als ich am Klappenschrank saß, war die Arbeit noch immer sehr hektisch. Jeder wollte jeden sprechen, keiner konnte warten. Alle Gespräche waren eilig, wichtig und geheim. Nie zuvor hatte ich so viel auf einmal zu tun gehabt. Ich bekam Angst. Was war eigentlich genau passiert? Und wo war Franzl? War er auf dem Weg zur Front oder sogar schon ganz vorne?

Ich war vollkommen erschöpft, als ich abgelöst wurde.
In den nächsten Tagen und Wochen half ich in meiner Freizeit im Lazarett, wo alle Hände gebraucht wurden. Zahlreiche an der Front verwundete Soldaten wurden mit LKWs hierhergebracht. Viele schrien vor Schmerzen, manche hatten verbundene Augen. Ärzte und Krankenschwestern waren vollkommen überfordert. Bald gab es keine freie Betten mehr, so daß die Verwundeten auf den Gängen liegen mußten. Überall roch es nach Blut, alles war verdreckt. Wir Helfer trösteten die Soldaten und wuschen ihnen die Gesichter.

Bei jedem neuen Transport bangte ich, Franzl könne dabei sein. Gott sei Dank, diesmal wieder nicht! Kam ein Brief von ihm, sah ich als erstes auf das Datum, denn das hieß, an diesem Tag war es ihm noch gutgegangen.


Osersonntag 1944 in Arras, Frankreich. Franzl ist zu Besuch gekommen, und wir begießen seine Beförderung zum Feldwebel.

Die Ärzte brauchten auch im Operationssaal Hilfe. Ich meldete mich freiwillig. Ich hielt eine Art Sieb über die Nase des Verletzten und tröpfelte ein Narkosemittel darauf, bis er eingeschlafen war. Dann begann der Arzt mit der Behandlung, bei der ich ihm assistierte. Am schlimmsten waren für mich Amputationen. Ich weiß selbst nicht, wie ich das alles ausgehalten habe. Oft sagte der Arzt hinterher, ich sei ihm wirklich eine große Hilfe gewesen.

Von Zeit zu Zeit sah ich auf dem Gang nach, ob ein Soldat seinen Verletzungen erlegen war. Die Ärzte hatten nicht so viel Zeit, um es selbst festzustellen. Ich half, so gut ich konnte. Nach jeder Schicht in der Telefonvermittlung eilte ich nach kurzer Pause zum Lazarett.

Als ich eines Mittags vom Dienst zurück zur Unterkunft kam, stand ein Motorrad mit Seitenwagen auf dem Hof. Mein erster Gedanke war: „Franzl ist da!“ Ich rannte in die Diele, wo mich eine Helferin mit den Worten empfing: „Clare, du sollst sofort zur Führerin kommen!“

Ich eilte die Treppe hinauf, klopfte am Dienstzimmer der Heimleiterin an. Sie bat mich herein. Vor ihrem Schreibtisch, im Besuchersessel, saß Karl, der Freund von Franzl. Ich war enttäuscht, ich hatte doch Franzl erwartet!
Ich sollte mich hinsetzen. Ohne Umschweife sagte dann Karl zu mir: „Franz ist am 16. August gefallen. Er wurde von einer Granate getroffen.“

Alles, was ich in diesem Moment tun konnte, war mit dem Kopf zu nicken. Ich brachte kein Wort über die Lippen, schaute Karl nur stumm an. Nach ein paar Sekunden erhob ich mich und lief in mein Zimmer. Dort nahm ich ein Handtuch aus dem Schrank und ging damit ins Badezimmer der Führerin. Ich ließ Wasser in die Wanne und legte mich hinein. Wie lange ich so lag, weiß ich nicht mehr. Am Abend schrieb ich einen Brief an Franzl.

Am nächsten Tag versah ich wie gewöhnlich meinen Dienst in der Telefonzentrale. Anschließend half ich wieder im Lazarett. Ich setzte mich an das Bett eines verwundeten Offiziers. Er bat mich, einen Brief an seine Angehörigen zu schreiben. Es fiel mir schwer, seinen Worten zu folgen, ich konnte mich nicht konzentrieren. Der Offizier fragte mich, ob ich Sorgen hätte. Ich stotterte: „Ja, mein Freund ist gefallen.“

Im selben Moment stand ich auf und lief hinaus, weil mir die Tränen kamen. Ich wollte den verletzten Offizier nicht mit meinen Sorgen belasten. Er rief mich jedoch zurück und befahl mir regelrecht, den Brief zu Ende zu schreiben. Dann machte er mir Mut, ich solle meinen Weg weitergehen, auch wenn mein Freund tot sei. Ich mußte ihm noch versprechen, dafür zu sorgen, daß sein Brief abgeschickt wird.

Bald danach wurden die Verwundeten abtransportiert, denn die Front rückte immer näher an Arras heran. Wir konnten den Kanonendonner bereits hören.

Eines Tages stand vor unserer Unterkunft ein Bus bereit. So schnell wie möglich für den Abmarsch fertigmachen, lautete der Befehl. Ausgerechnet heute hatte meine Zimmerkameradin Urlaub, so daß ich auch noch ihre Sachen zusammenpacken mußte. In der Hektik wußte ich nicht, womit ich anfangen sollte. Mal legte ich etwas in ihren Koffer, mal in meinen. Leider mußte ich etliche Dinge zurücklassen. Aber die Briefe und Fotos von Franzl packte ich alle ein. Ich kam als letzte zum Bus. Es war eine regelrechte Rette-sich-wer-kann-Aktion.

Die Fahrt ging nach Gießen, wo sich die Schule für Heereshelferinnen befand. Auch aus anderen Richtungen kamen Busse hier an, bis die Schule vollkommen überfüllt war und die Unterkünfte aus allen Nähten platzten. Wir mußten in Etappen Essen fassen. Alle warteten auf weitere Befehle, aber niemand wußte Bescheid. Wer wollte, könnte die Entlassung bekommen und nach Hause fahren, hieß es. Viele Mädchen nahmen diese Chance wahr. Für mich kam das jedoch nicht in Frage. „Bloß das nicht, auf keinen Fall nach Hause!“ sagte ich mir.

Eine Führerin bot uns dann zwei Umschulungen an, die eine zur Funkerin in Kiel, die andere zur Fernschreiberin in Prora auf der Insel Rügen. In beiden Fällen würde die Marine uns übernehmen. Ich überlegte nicht lange. Die Schule auf Rügen kannte ich bereits, dort hatte ich meine Ausbildung zur Telefonistin erhalten. Ich meldete mich für diesen Kurs.

Schon am nächsten Tag ging es mit dem Zug an die Ostsee. Alles war dort noch genauso wie damals, die Unterkünfte, die Essenräume, die Büros. Wieder marschierten wir jeden Morgen mit einem fröhlichen Lied zu den etwas abseits gelegenen Übungsbaracken. Diesmal waren es Schulungsräume mit langen Reihen von Tischen und Stühlen. Auf jedem Platz stand ein Fernschreiber. Der Ausbilder trug Marineuniform. An der Wand hinter seinem Pult hing eine stark vergrößerte Abbildung der Tastatur eines Fernschreibers.

Zuerst lernten wir, jeden Buchstaben blind zu finden. Dabei klopfte der Ausbilder in einem bestimmten Rhythmus mit einem Stab auf den Fußboden. Aus jedem Gerät kam ein beschrifteter Papierstreifen, den wir zur Kontrolle nach vorn bringen mußten. Wir hatten drei Monate Zeit, um das fehlerfreie Bedienen eines Fernschreibers zu erlernen. Am Ende mußten wir uns einem Test unterziehen, vor dem wir alle Angst hatten.

In unserer Freizeit trieben wir Sport, sonntags wanderten wir manchmal nach Binz. Seit der traurigen Nachricht von Arras schrieb ich weiterhin jeden Tag einen Brief an Franzl. Ich wollte die Tatsache, daß er tot ist, einfach nicht wahrhaben. Normalerweise kamen die Briefe, wenn der Empfänger gefallen war, mit dem Vermerk „Fürs Vaterland gefallen“ an den Absender zurück. Meine aber nicht, darum schöpfte ich immer wieder Hoffnung, Franzl könne noch am Leben sein ...

Eines Tages kam Post von einem Kameraden von Franzl, der mit ihm in der 2. Panzerdivision gedient hatte. Er bat mich, damit aufzuhören, an Franz zu schreiben. Wie ich wisse, sei mein Freund am 16. August dieses Jahres in Frankreich gefallen. Ich müsse endlich der Wahrheit ins Auge sehen. Irgendwann werde der Schmerz nachlassen.

Ich schrieb nicht wieder. Es fehlte mir jetzt zwar etwas, aber ich machte mir auch keine Hoffnungen mehr. Eine unendliche Leere war in mir. Um so mehr konzentrierte ich mich jetzt auf den Abschlußtest. Alle Mädchen bestanden und erhielten eine sehr gute Beurteilung. Wir durften jetzt auf unserer Uniform den Helferinnenstreifen des Heeres gegen den der Marine austauschen. Ich war etwas enttäuscht, denn ich hatte gehofft, wir bekämen eine schöne, blaue Uniform.

Ich wurde nach Stralsund, in eine kleine Fernschreibzentrale befohlen, wo ich alsbald in die Turbulenzen des nahenden Kriegsendes geriet.

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Inhalt

Orte
Chronologie 1939–1945
Zurück zu Heim und Herd?
Imme Uta Holz Allein mit vier Kindern
Irmgard Janotta Wir hatten doch noch so viele Pläne
Liesel Hünichen Arbeit adelt
Erika Summ Ich will mehr, Frontschwester Erika
Irmgard Hansen Kriegshilfsdienst im Kupferwerk
Brunhilde Unger Im Fernmeldeamt
Ursula Hofmann Berlin W 15 – Fasanenstraße
Hildegard Brandt Teestunde am Nollendorfplatz
Dora Keck „Bleib übrig!“
Rosemarie Kilian Eine etwas seltsame Zahngeschichte
Gertraude Wortmann Ein eisiger Tag in Schlesien
Ursula Sabel „Mit Lieb’ bin ich umfangen“
Hannelore Mishal Als ich meine Oma zu uns holte
Hilde Stihler Küsse im Tunnel
Gerdi Schamp Margarete
Annemarie Wieser Aufschrei der Seele
Margot Linke Das Kräuterweible
Käthe Kyrion Silvesterfete 1944
Margareta Pesch Die Kistenfabrik
Käthe Kyrion Die erste Liebe – und dann das Leben
Elisabeth Siemionow Bomben auf München, Königliche Hoheit lassen bitten
Clare Varner-Rassmann Briefe an Franzl
Irene und Ernst Guicking Mein lieber Mann – Liebste Frau
Charlotte Leidig Wiedersehen im Internierungslager
Gerdi Schamp „Haben Sie keine Angst!“
Brigitta Jost „Ich hielt ihre Hand“ – so erzählte es unsere Mutter
Marie Stade ... und es traf uns doch noch!
Hildegard de Parade Alles ist anders als vorher
Elisabeth Dörffel Aus der Traum
Hildegard de Parade Sogar die Elbe brannte
Ursula Helmchen-Vogel Meine drei Rückzüge
Gertraude Wortmann Ausgeliefert
Dorothea Helbig Dienst in der Festung Breslau, Abschied und Neubeginn
Renate Rochner Könnte ich doch in die Zukunft sehen!
Renate Sielaff Kartoffelschäler gesucht
Gerda Keller-Freitag Und ich lebte weiter
Änne Behrends Der Weg ins Ungewisse
Margareta Pesch Wenn die Amis doch bald kämen!
Ursula Sonnemann Unerwartete Hilfe
Margit Heidecker Im Nürnberger Kunstbunker
Hildegard Strauß Bonbons kochen
Lotte Werner Olga
Verfasser
Verlagsprogramm


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