|
|
Mauer-Passagen |
|
Wanke-Kreh,
Udo zum
Buchshop »
|
|
zum Buch "Mauer-Passagen" In den frühen Morgenstunden des 13. August 1961 mußten die Menschen in Ost- und West-Berlin fassungslos zusehen, wie zwischen ihnen, quer durch die gesamte Stadt, eine Mauer entstand. Bewachte Baukommandos legten Stacheldrahtrollen aus, rissen das Straßenpflaster auf und begannen, mit Steinen und Mörtel eine Mauer zu errichten, bis sie selbst dahinter verschwanden. Damit war in Berlin das letzte Schlupfloch zwischen Ost und West geschlossen. Endgültig war der eiserne Vorhang niedergegangen, 28 Jahre blieb er verschlossen. Leseprobe >> zum Buch "Das erste Leben" Originell
und leicht sarkastisch erzählt Udo Wanke-Kreh die Geschichte seines
"ersten Lebens". Dabei bietet er komische und informative Einblicke
in den Alltag und in die Gesellschaft des Arbeiter- und Bauernstaates,
die mit seiner gefahrenvollen Flucht 1972 aus dem inzwischen ungeliebten
Vaterland endet.
Leseprobe >> [West-Berlin; 12./13. August 1961] Hermann
Meyn Es war die
Nacht der Nächte, jedenfalls für einen 26jährigen, der
einige Wochen zuvor auf Honorarbasis für 60 Mark pro Schicht in der
Nachrichtenredaktion des RIAS angeheuert hatte. Kurz vor zwei Uhr stürzte
an diesem 13. August 1961 ein spärlich bekleideter Amerikaner in
den Nachrichtenraum, in dem ich mutterseelenallein versuchte, vier unablässig
klingelnde Telefonapparate zu bedienen, und fragte mich in gebrochenem
Deutsch: "Sind die Verbindungswege betroffen?"
Hier,
im RIAS-Funkhaus in der Kufsteiner Straße in Berlin-Schöneberg,
hatte ich in der Nacht zum 13. August 1961 Dienst und versuchte verzweifelt,
die US-Mission und die Chefredaktion des Senders zu erreichen. Hörer
hatten mich über die Einstellung des S-Bahnverkehrs und Absperrungen
an der Grenze zu Ost-Berlin informiert. Als ich an
diesem Sonnabend kurz vor 24 Uhr in der Nachrichtenredaktion erschienen
war, fragte ich routinemäßig die Kolleginnen und Kollegen von
der Spätschicht, ob es irgendetwas Besonderes gäbe. Bevor ich
beim Sender in der Kufsteiner Straße in Schöneberg begann,
arbeitete ich bereits zwei Jahre lang nebenbei als Korrespondent für
den Südwestfunk. Zu meiner täglichen Lektüre gehörte
deshalb das SED-Zentralorgan "Neues Deutschland". Ich hatte
also Übung darin, Parteichinesisch in die Alltagssprache zu übersetzen.
Aber diese AP-Meldung über das Kommuniqué der Warschauer Paktstaaten
überforderte mich schlichtweg. Ich konnte sie nicht entschlüsseln,
erkannte nicht ihre politische Tragweite. Ich schaffte es nicht, für
die Nachrichtensendung um ein Uhr eine Meldung zu formulieren, die klar
zum Ausdruck brachte, worum es tatsächlich ging. Ja, es kam mit Ach
und Krach eine Meldung zustande, aber sie war weitgehend unverständlich,
und deswegen sah ich auch davon ab, nach dem Alarmplan zu verfahren. Das Schweigen
der Schutzmacht Ostberlin 13. August 1961 Einschnitt Mauerbau (Auszug aus dem Buch "Das erste Leben) Am Sonntagmorgen, dem 13. August 1961, erwachte ich aus süßem Schlummer. Verschlafen schaltete ich das Radio ein, hörte im Halbschlaf Berlin ist abgeriegelt oder etwas Ähnliches, drehte mich auf die andere Seite und schlummerte weiter. Erst verzögert drang mir die hektische Stimme des Nachrichtensprechers ins Bewußtsein. Auf einmal war ich hellwach, sprang auf, zog mich an und flitzte ohne Frühstück zu Achim. Der war auch schon angezogen, und wir gingen zu Jürgen. Zu dritt, etwas gefaßter und mutiger, eilten wir zum Grenzübergang Bernauer Straße, der am nächsten lag. Schon im Vorfeld, in Nebenstraßen und auf freien Plätzen, überall sahen wir Panzer und motorisierte Einheiten der Russen und der Nationalen Volksarmee. An der Grenze
standen Uniformierte in vier Reihen hintereinander, jede Reihe im Abstand
von 15 bis 20 Metern zur nächsten. Die erste Kette auf Ostberliner
Seite, Schulter an Schulter, in Tarnanzügen und mit Maschinenpistolen
quer vor der Brust, bildeten die Betriebskampfgruppen. Sie fühlten
sich offensichtlich nicht gerade wohl in ihrer Haut. Die zweite Kette
bestand aus Volkspolizisten, dann folgte als dritte die Nationale Volksarmee
und direkt an der Grenze standen die Soldaten und Offiziere der sowjetischen
Armee, alle mit dem Rücken nach Westberlin und dem Gesicht nach Ostberlin.
Sie hatten augenscheinlich keine Angst vor dem Klassenfeind, sondern vor
ihren eigenen Brüdern und Schwestern. Nach ein paar Stunden verdrückten wir uns, um das Erlebte und Gesehene erst einmal zu verarbeiten. Die Gefühle und Meinungen darüber waren zwiespältig und weitgehend aggressionslos. Erst im Laufe der nächsten Tage schälte sich ein Meinungsbild heraus. Einerseits betrachteten wir den Mauerbau einhellig als Freiheitsberaubung und Willkürakt und erörterten im jugendlichen Eifer Fluchtpläne. Andererseits brachten wir für den Mauerbau ein gewisses Verständnis auf, wußten wir doch, daß täglich Tausende DDR-Bürger in den Westen geflüchtet waren, was einer Massenpsychose gleichkam. Wie ich hatten viele andere ebenfalls die Absicht, nach der Ausbildung abzuhauen. Es leuchtete uns ein, daß kein Staat einen solchen Aderlaß zulassen und verkraften konnte. Zudem war uns das Gefühl, im Westen als Mensch zweiter Klasse behandelt worden zu sein, gegenwärtig, weshalb wir einen nicht unerheblichen Groll gegen die Westler hegten. Nicht zuletzt war Neid mit im Spiel. Das alles führte zu einer irrationalen Schadenfreude im Sinne von: Jetzt haben wir es denen auch mal gezeigt. Aus diesem Zwiespalt und der Neuorientierung heraus hätte die DDR einen Teil meiner Generation für sich gewinnen können. Wie wäre das zu schaffen gewesen? In den ersten Wochen nach dem Mauerbau hätte ein neuer Sozialismus propagiert und mit einigen spektakulären Entscheidungen realisiert werden müssen, eine Art Berliner Frühling, ähnlich dem Prager Frühling sieben Jahre später. Wirkungsvoll wäre die völlige Reisefreiheit innerhalb des Ostblocks gewesen, selbst auf die Gefahr hin, daß weitere DDR-Bürger, die man ohnehin nicht hätte halten können, über Drittländer geflüchtet wären. Vor allem
hätte die Regierung die Intellektuellen, Künstler und Studenten
als Podium und Aushängeschild für sich gewinnen müssen.
Dieser Personenkreis besaß in der DDR einen hohen Vertrauensbonus.
Unter dem Motto Vom Kapitalismus lernen, um seine Fehler zu vermeiden
und seine Vorteile zu nutzen hätte sich die DDR in den geistes-
und naturwissenschaftlichen Bereichen öffnen müssen. Bedingt
durch die gleiche Sprache in Ost und West, war es letzten Endes nicht
möglich, uns etwas zu verheimlichen. Meine Privatbibliothek umfaßte
mit meinen 17 Jahren bereits acht laufende Meter Bücher, und ich
war Benutzer von zwei großen öffentlichen Bibliotheken. Ich
hatte bereits mehr Westliteratur gelesen, als mancher Westdeutsche in
seinem ganzen Leben und nicht nur Romane. Und über das Gelesene
wurde im Freundeskreis diskutiert. Was konnte die DDR mir an Informationen
vorenthalten? Ich warf ihr mit Recht vor, daß sie meine Erwartungen
nicht erfüllt hatte. Der Vergnügungspark Westberlin war also geschlossen, Republikflucht nur noch unter Lebensgefahr möglich. Für die Ostberliner folgte eine Umorientierung im privaten und gesellschaftlichen Leben. Das ging nicht von heute auf morgen, aber erstaunlich schnell. Nach einigen Jahren hatten sich die Fronten innerhalb der DDR geklärt. |