Gescheiterte
Karrieren
Es fing alles so harmlos an ... Um nicht von der Schule zu fliegen,
suchte ich gegen Ende 1936 die ersten Kontakte zum Jungvolk, trat
auch dem Verein bei und wurde während des ersten Dienstes bereits
wegen Befehlsverweigerung für ein ganzes Jahr strafbeurlaubt.
Somit war ich Pimpf im Beurlaubten- beziehungsweise Wartestand.
Diesen Status hatten bestimmt wenige Jugendliche bei uns. Glücklicherweise
hatte mein angeblich so unmögliches Verhalten im Jungvolk keine
weiteren unangenehmen Folgen für mich.
Der Grund für meine Bestrafung, die ich nicht als solche empfand,
bestand darin, dass ich einen Befehl meines Jungstammführers
nicht ausgeführt hatte. In Lyck zählte zu der Zeit der
Jungstamm ungefähr 300 frische und aufgeweckte Burschen, die
nach einem längeren Marsch den in Stadtnähe liegenden
Exerzierplatz erreicht hatten. Ich war heilfroh, meinen ersten Marsch
im Gleichschritt einigermaßen gut überstanden zu haben,
als - mir völlig unverständlich - vom Jungstammführer
den in Reih und Glied stehenden Pimpfen
lautstark der Befehl zum Hinlegen zugeschrien wurde. Wie vom Blitz
getroffen, lagen neben, hinter und vor mir die stolzen Uniformträger
auf dem vom Regen durchnässten Erdboden. Ausnahmen machten
höhere und mittlere Führer und der Neuling in Zivil im
zweiten Glied des ersten Zuges.
Nachdem ich trotz mehrmaliger lautstarker Aufforderung und meiner
in gleicher Phonzahl vorgebrachten Proteste gegen derartige Drillversuche
und Kadavergehorsam nicht zu bewegen war, mich ebenfalls in den
Dreck zu schmeißen, brach der Führer die für ihn
sicherlich gänzlich ungewohnte Auseinandersetzung mit einem
Untergebenen abrupt ab, schnappte mit rotem Kopf nach Luft und jagte
mich nach Namensfeststellung und unter Drohgebärden einfach
davon, ohne es mit mir nochmals zu versuchen. Während die Meute
immer noch dalag, zog ich gemessenen Schrittes von dannen.
Da viele Mitschüler diesen Vorfall miterlebt hatten, wurde
in den Pausen auf dem Schulhof und darüber hinaus auch auf
den Straßen - teils empört und teils schmunzelnd - über
diese Ungeheuerlichkeit diskutiert. Es blieb lange Zeit das Thema
schlechthin.
(...)
Ausbilder im Fliegerhorst
An Fliegen war nicht mehr zu denken. Stattdessen musste ich die
infanteristische Ausbildung, das heißt die Auffrischung aller
verfügbaren und nicht im unmittelbaren Einsatz des fliegenden
Verbandes des Horstes stehenden Kräfte übernehmen.
Die dafür vorgesehenen Flieger-, Funker-, Maschinenwarte, das
Schreib-, Küchen- und Bodenpersonal - hinauf bis zum Stabsfeldwebel
- wurden in drei Züge eingeteilt und mir als dem Verantwortlichen
unterstellt. Langsam sickerte auf dem Obergefreiten-Dienstweg durch,
dass die für diese Ausbildung abkommandierten Soldaten zur
Luftwaffenfelddivision versetzt werden würden. Die Reste der
einst so stolzen Division standen im harten, Kräfte fordernden
Kampf gegen die Russen um Berlin. Deshalb nahm ich diese Ausbildung
besonders ernst und verlangte das Gleiche von den drei Ausbildern.
"Je besser die Ausbildung eines Soldaten, desto weniger Verluste
auf dem Schlachtfeld" war das Leitmotiv während der letzten
Tage in unserem Fliegerhorst, der sich sang- und klanglos aufzulösen
begann. Es war nun klar, dass alles, was noch getan werden konnte,
in Kenntnis des nahen "Untergangs" erfolgen musste. Und
das hieß für mich, zu versuchen, möglichst viele
Männer vor dem Tod zu bewahren. Jedenfalls wollte ich jede
sich mir bietende Gelegenheit ergreifen, diesem Vorsatz gerecht
zu werden.
"Wenn Sie, meine Kameraden, nun zum Einsatz kommen sollten",
so meine Schlussworte an die vor mir stehenden Züge gegen Ende
der Ausbildung, "dann versuchen Sie, stets klug zu handeln.
Sie wissen, dass Führungs- und persönliche Fehlentscheidungen
Ströme von Blut kosten. Deswegen auch vermeiden Sie nach Möglichkeit
Fehler und Schwächen durch ein allzeit richtiges Verhalten,
gepaart mit einem zweckmäßigen Vorgehen. Was Sie auch
immer tun müssen oder was Ihnen in diesem Ringen noch abverlangt
werden sollte, tun Sie es nach alter Landsersitte vernünftig,
überlegt, bewusst und im entscheidenden Moment dann engagiert.
Handeln Sie nie gewissenlos, sondern so, dass Sie jederzeit, sollten
Sie heil davonkommen, auch nach Jahren noch vor sich und Ihrem Gewissen
bestehen können. Denken Sie auch stets daran, dass es sich
hierbei um Eigenschaften handelt, die wir als Zivilisten später
beim Wiederaufbau unseres geschundenen Vaterlandes sehr dringend,
ja erst recht benötigen werden. Gebraucht werden dann bestimmt
keine engstirnigen Befehlsempfänger, keine ängstlichen
Duckmäuser, Maulhelden und auch keine Mitläufer, wie wir
sie zuhauf kennen gelernt haben. Stattdessen werden für die
gewaltigen Nachkriegsaufgaben Spontanität, Einfühlungsvermögen,
Engagement und solidarisches Verhalten von einem jeden von uns abverlangt
werden."
Meine
"Sternstunde" bei der Verabschiedung der ausgebildeten
Soldaten,die nun in den sogenannten Endkampf um Berlin abkommandiert
waren. Die Ansprache hätte mich Kopf und Kragen kosten können.
Wenn es Sternstunden im Leben eines Einzelnen geben sollte, dann
war diese eine für mich. Ich muss so eindringlich, so furchtlos,
offen und engagiert gesprochen haben, dass ich das Gefühl hatte,
mit diesem zusammengewürfelten Haufen Berge versetzen zu können.
Dass der Kommodore sich in unserer Nähe befand, hatten wir
alle nicht bemerkt. Er fand erst Beachtung, als er mir seine Hand
auf die Schulter legte, eine Meldung ablehnte, mich abseitsführte
und von mir wissen wollte, wann und wo ich ein derartiges Rüstzeug
mitbekommen hätte. Einen solch andächtigen Zuhörerkreis
hätte er bisher weder während einer Parteiversammlung
noch in einer Kirche und auch nicht in der Kaserne erlebt. Sehr
beeindruckt hätten ihn meine völlig offenen und unerschrockenen
Meinungsäußerungen. Er persönlich würde ja
alles Gehörte unterstreichen, wisse aber nicht, wie es einzelne
Soldaten aufnähmen. Noch hätten wir das Regime, noch rollten
Köpfe und noch müssten wir sehr vorsichtig sein, gab er
mir fast väterlich zu bedenken. Dann kam es zu einem kräftigen
Handschlag zwischen uns beiden, und die Ausbildung seiner Horstsoldaten
war beendet.
[nach
oben]