Leseprobe

Herbert Behrendt
Erlebte Drahtseilakte
Erinnerungen eines Ostpreußen Jahrgang 1923

160 Seiten, Abbildungen. Broschiert.
Sammlung der Zeitzeugen (31)
Zeitgut Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-933336-80-4
EURO 12,80




Herbert Behrendt neigte bereits als Hitlerjunge in Ostpreußen zum Widerstand gegen absurde Befehle. Als sich alle in den Dreck schmeißen sollten, ging der groß gewachsene blonde Junge laut protestierend vom Platz.
Als junger Flugzeugführer, als Ausbilder und als Ordonnanzoffizier - immer sträubte er sich gegen Befehle, die ihm widersinnig erschienen und fast immer fand er Vorgesetzte, die für sein Verhalten Verständnis hatten. Wenn es einen Orden für eigenmächtiges Handeln gäbe, sagte sein letzter Kommandeur, er hätte ihm diese Auszeichnung an die Brust geheftet.
Herbert Behrendt sagt, von seiner Sorte habe es nicht wenige gegeben. Auch beim Militär im Dritten Reich sei er oft auf Menschen gestoßen, die ihm gegen alle Vorschriften halfen, seinen Widerstand aus innerer Überzeugung durchzustehen.

Sein Buch enthält seltene Erinnerungen an schwierige Drahtseilakte, die er als Ermutigung zur Zivilcourage verstanden wisssen möchte.


Auszug: S. 45–46 und S. 87–89


Gescheiterte Karrieren
Es fing alles so harmlos an ... Um nicht von der Schule zu fliegen, suchte ich gegen Ende 1936 die ersten Kontakte zum Jungvolk, trat auch dem Verein bei und wurde während des ersten Dienstes bereits wegen Befehlsverweigerung für ein ganzes Jahr strafbeurlaubt. Somit war ich Pimpf im Beurlaubten- beziehungsweise Wartestand. Diesen Status hatten bestimmt wenige Jugendliche bei uns. Glücklicherweise hatte mein angeblich so unmögliches Verhalten im Jungvolk keine weiteren unangenehmen Folgen für mich.

Der Grund für meine Bestrafung, die ich nicht als solche empfand, bestand darin, dass ich einen Befehl meines Jungstammführers nicht ausgeführt hatte. In Lyck zählte zu der Zeit der Jungstamm ungefähr 300 frische und aufgeweckte Burschen, die nach einem längeren Marsch den in Stadtnähe liegenden Exerzierplatz erreicht hatten. Ich war heilfroh, meinen ersten Marsch im Gleichschritt einigermaßen gut überstanden zu haben, als - mir völlig unverständlich - vom Jungstammführer den in Reih und Glied stehenden Pimpfen
lautstark der Befehl zum Hinlegen zugeschrien wurde. Wie vom Blitz getroffen, lagen neben, hinter und vor mir die stolzen Uniformträger auf dem vom Regen durchnässten Erdboden. Ausnahmen machten höhere und mittlere Führer und der Neuling in Zivil im zweiten Glied des ersten Zuges.

Nachdem ich trotz mehrmaliger lautstarker Aufforderung und meiner in gleicher Phonzahl vorgebrachten Proteste gegen derartige Drillversuche und Kadavergehorsam nicht zu bewegen war, mich ebenfalls in den Dreck zu schmeißen, brach der Führer die für ihn sicherlich gänzlich ungewohnte Auseinandersetzung mit einem Untergebenen abrupt ab, schnappte mit rotem Kopf nach Luft und jagte mich nach Namensfeststellung und unter Drohgebärden einfach davon, ohne es mit mir nochmals zu versuchen. Während die Meute immer noch dalag, zog ich gemessenen Schrittes von dannen.

Da viele Mitschüler diesen Vorfall miterlebt hatten, wurde in den Pausen auf dem Schulhof und darüber hinaus auch auf den Straßen - teils empört und teils schmunzelnd - über diese Ungeheuerlichkeit diskutiert. Es blieb lange Zeit das Thema schlechthin.

(...)

Ausbilder im Fliegerhorst
An Fliegen war nicht mehr zu denken. Stattdessen musste ich die infanteristische Ausbildung, das heißt die Auffrischung aller verfügbaren und nicht im unmittelbaren Einsatz des fliegenden Verbandes des Horstes stehenden Kräfte übernehmen.

Die dafür vorgesehenen Flieger-, Funker-, Maschinenwarte, das Schreib-, Küchen- und Bodenpersonal - hinauf bis zum Stabsfeldwebel - wurden in drei Züge eingeteilt und mir als dem Verantwortlichen unterstellt. Langsam sickerte auf dem Obergefreiten-Dienstweg durch, dass die für diese Ausbildung abkommandierten Soldaten zur Luftwaffenfelddivision versetzt werden würden. Die Reste der einst so stolzen Division standen im harten, Kräfte fordernden Kampf gegen die Russen um Berlin. Deshalb nahm ich diese Ausbildung besonders ernst und verlangte das Gleiche von den drei Ausbildern.

"Je besser die Ausbildung eines Soldaten, desto weniger Verluste auf dem Schlachtfeld" war das Leitmotiv während der letzten Tage in unserem Fliegerhorst, der sich sang- und klanglos aufzulösen begann. Es war nun klar, dass alles, was noch getan werden konnte, in Kenntnis des nahen "Untergangs" erfolgen musste. Und das hieß für mich, zu versuchen, möglichst viele Männer vor dem Tod zu bewahren. Jedenfalls wollte ich jede sich mir bietende Gelegenheit ergreifen, diesem Vorsatz gerecht zu werden.

"Wenn Sie, meine Kameraden, nun zum Einsatz kommen sollten", so meine Schlussworte an die vor mir stehenden Züge gegen Ende der Ausbildung, "dann versuchen Sie, stets klug zu handeln. Sie wissen, dass Führungs- und persönliche Fehlentscheidungen Ströme von Blut kosten. Deswegen auch vermeiden Sie nach Möglichkeit Fehler und Schwächen durch ein allzeit richtiges Verhalten, gepaart mit einem zweckmäßigen Vorgehen. Was Sie auch immer tun müssen oder was Ihnen in diesem Ringen noch abverlangt werden sollte, tun Sie es nach alter Landsersitte vernünftig, überlegt, bewusst und im entscheidenden Moment dann engagiert. Handeln Sie nie gewissenlos, sondern so, dass Sie jederzeit, sollten Sie heil davonkommen, auch nach Jahren noch vor sich und Ihrem Gewissen bestehen können. Denken Sie auch stets daran, dass es sich hierbei um Eigenschaften handelt, die wir als Zivilisten später beim Wiederaufbau unseres geschundenen Vaterlandes sehr dringend, ja erst recht benötigen werden. Gebraucht werden dann bestimmt keine engstirnigen Befehlsempfänger, keine ängstlichen Duckmäuser, Maulhelden und auch keine Mitläufer, wie wir sie zuhauf kennen gelernt haben. Stattdessen werden für die gewaltigen Nachkriegsaufgaben Spontanität, Einfühlungsvermögen, Engagement und solidarisches Verhalten von einem jeden von uns abverlangt werden."

Meine "Sternstunde" bei der Verabschiedung der ausgebildeten Soldaten,die nun in den sogenannten Endkampf um Berlin abkommandiert waren. Die Ansprache hätte mich Kopf und Kragen kosten können.

Wenn es Sternstunden im Leben eines Einzelnen geben sollte, dann war diese eine für mich. Ich muss so eindringlich, so furchtlos, offen und engagiert gesprochen haben, dass ich das Gefühl hatte, mit diesem zusammengewürfelten Haufen Berge versetzen zu können. Dass der Kommodore sich in unserer Nähe befand, hatten wir alle nicht bemerkt. Er fand erst Beachtung, als er mir seine Hand auf die Schulter legte, eine Meldung ablehnte, mich abseitsführte und von mir wissen wollte, wann und wo ich ein derartiges Rüstzeug mitbekommen hätte. Einen solch andächtigen Zuhörerkreis hätte er bisher weder während einer Parteiversammlung noch in einer Kirche und auch nicht in der Kaserne erlebt. Sehr beeindruckt hätten ihn meine völlig offenen und unerschrockenen Meinungsäußerungen. Er persönlich würde ja alles Gehörte unterstreichen, wisse aber nicht, wie es einzelne Soldaten aufnähmen. Noch hätten wir das Regime, noch rollten Köpfe und noch müssten wir sehr vorsichtig sein, gab er mir fast väterlich zu bedenken. Dann kam es zu einem kräftigen Handschlag zwischen uns beiden, und die Ausbildung seiner Horstsoldaten war beendet.

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