Leseproben |
|
Hoch auf dem
Erntewagen Originalausgabe Euro 9,95
|
|
Leseproben
aus dem Buch Baron
Pless, Heinrich Pieh Nidderau-Ostheim,
heute zu Hanau, Hessen; Baron
Pless Die nach dem Ersten Weltkrieg entstandene Republik hatte es sehr schwer, Anerkennung zu finden. Eigentlich blieb sie immer ungeliebt. Die gute, alte Kaiserzeit war unvergessen. Deutschnational hieß darum vielerorts die Parole. Auch auf dem Dorf. Als nach gewaltiger Inflation das Wunder der Rentenmark endlich griff, entstieg eines Tages in unserem Dorf ein nicht allzu auffallend gekleideter junger Mann dem 12 Uhr-Zug. In seiner Begleitung befand sich eine recht attraktive Dame. Mit leichtem Gepäck schlenderten beide die staubige Bahnhofstraße hinunter. Als ihnen jemand begegnete, erkundigten sie sich, wo man denn hier im Dorfe am besten logieren könne. Da und dort lautete die Antwort. Doch sollten sie besser mal selber nachschauen. Mein
Name ist Baron Pless, sagte der junge Mann selbstbewußt
und drehte sein Stöckchen, ich suche, bitte schön,
keine Arbeiterunterkunft, sondern ein deutschnationales Gasthaus!
Können Sie mir das bieten? Und so geschah es, daß sich in unserem Dorf ein leibhaftiger Baron einmietete. Schnell verbreitete sich die Kunde, daß sich beim Profitche ein Blaublütiger mit seiner Frau einquartiert habe. Natürlich wurde gerätselt, weshalb ein weltgewandter Baron sich ausgerechnet in Ostheim für eine Zeit niederlassen wollte. Man kam zu dem Schluß, er werde wohl des Weltenbummelns und des Stadtlebens überdrüssig geworden sein und brauche darum einige Wochen Ruhe. Die örtlichen Würdenträger der Bürgermeister, der Lehrer und einige Handwerksmeister machten dem Adligen und seiner Gattin noch am Ankunftstag ihre Aufwartung. Dabei erfuhren sie, daß Baron und Baronin sehr die Geselligkeit schätzten und darum zur Abendgesellschaft einlüden. Dazu ließen sich unsere Dorfgewaltigen nicht zweimal bitten. Flugs wurde eine Kapelle beschafft, der Wirt öffnete Keller und Speisekammer und dann wurde gescherbelt. Jeden Abend. Dabei soll nicht nur die Frau Baronin ganz aus dem Häuschen geraten sein. Zum Dank
für die allabendliche Gunst, an der adligen Tafel teilhaben zu
dürfen, führte der Gemeinderat Baron und Baronin durch die
dörfliche Flur, zeigte dem hohen Paar die Pracht der Felder und
lobte den fruchtbaren Ackerboden sowie den bäuerlichen Fleiß.
Die Gäste waren tief beeindruckt. Die folgenden drei Wochen wurden zur gewaltigen Strapaze. Es wurde gesungen, getanzt und erbärmlich gesoffen. Wen wunderts, daß so mancher Haussegen darum von der Wand fiel? Dann
brach die fünfte Woche an. Es war Frühstückszeit. Heute
ließen die beiden Edelleute ganz gegen die sonstige Gewohnheit
besonders lange auf sich warten. Als auch
zum Mittagessen der Tisch unbesetzt blieb, stieg der Gastwirt mit
ungutem Gefühl zu den Gästezimmern hinauf. Er klopfte zaghaft.
Nichts rührte sich. Er klopfte lauter. Nichts. Er rief höflich.
Aich
huns geweßt. Aich huns geweßt, jammerte
der Wirt vom Goldenen Stern. Ausgeflue san se. Ausgeflue,
dai Kanallje, womit er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
Bei diesem Trost aber blieb es. Wochen, Monate vergingen. Baron und Baronin blieben verschollen. Die offene Rechnung für die Saufabende von über zweitausend Mark schrieb der Wirt vom Goldenen Stern schließlich in den Schornstein. Heute leben noch einige von jenen, die sich damals als junge Spritzer mit der Frau Baronin vergnügten. Fragt man sie, was das wohl für ein Baron gewesen sein mag, antworten sie übereinstimmend: De Baron? Doas ess kaan Baron näit gewäst. Doas woar nur en verkrachte Student un Hochstapler. Und die Baronin, doas ess sei Schnepp gewäst. Mir hun doas gleich geweßt!
Machenau/Bober bei Sagan, Niederschlesien Minkwitz bei Leisnig,
Sachsen; Lotte Vor dem
Stall stand unser Pferd Lotte. Das Tier war uralt; alles an ihm strebte
nach unten: Die Mähne hing traurig herab, der ausgedünnte
Schwanz schlug kraftlos nach Fliegen, der Hals beugte sich unter der
Last des schweren Kopfes erdwärts. Ich stand abseits, innerlich ganz auf Omas Seite. Eine Szene aus naher Vergangenheit ging mir durch den Kopf. Sie zeigte mich, vor Lotte stehend, dem Pferd eine Kartoffel hinhaltend, in der flachen Hand, wie es Vater immer tat. Das Tier nahm sie vorsichtig mit weichen, spitzen Lippen auf, aber herunter bekam es sie nicht, die eiserne Trense im Maul behinderte das Zubeißen. Die Kartoffel fiel schließlich in Stücken auf die Erde. Mit Eisen im Maul muß das Pferd herumlaufen, hatte ich mich innerlich empört. Vaters Absicht, Lotte aus wirtschaftlichen Erwägungen töten zu lassen, ließ mich daran denken, wie dieses Pferd allzeit geknechtet und oft geschunden worden war und seinen Nutzern stets bedingungslos ausgeliefert, nie eine Chance auf schonende Behandlung und schon gar nicht auf artgerechte Haltung gehabt hatte. Lotte stammte aus einem Reitstall im Schlesischen und wird einst seinem Besitzer als preisgekröntes Rennpferd gutes Geld gebracht haben. Fahnenflüchtige, die nicht noch in den letzten Kriegstagen ihr Leben einbüßen wollten, hatten Lotte und einen Schimmel im allgemeinen Durcheinander des Rückzugs im Stall losgebunden, vor einen klapprigen Kutschwagen gespannt und waren losgeprescht, in ständiger Angst vor der rasch vorrückenden Front und vor den überall lauernden Kettenhunden, wie die gefürchtete Feldgendarmerie genannt wurde. Immer wieder wild auf die überforderten Pferde einpeitschend, waren sie auf unserem Hof in Schlesien gelandet, wo sie das halbzusammengebrochene Fluchtgefährt und die erschöpften Tiere stehenließen, um sich zu Fuß weiter absetzen zu können. Jedenfalls stand Mutter eines Morgens im Stall vor zwei fast zu Tode gehetzten, völlig erschöpften Pferden. Sie nahm die Tiere an wie ein Geschenk des Himmels. Die Zusammenstellung eines aus Pferdefuhrwerken bestehenden Flüchtlingstrecks war im Dorf bereits beschlossen, aber mit zwei Milchkühen an der Deichsel war schlecht flüchten vor einer schnell heranrückenden Armee. Unser kleiner Ackerwagen stand bereit, vollgepackt mit dem Nötigsten, obenauf kamen die gehunfähige Uroma und der einjährige Säugling. Überspannt war das Gefährt noch mit Teppichen auf sperrigem Holzgerüst. Die gesamte Konstruktion war vom Großvater erdacht und zusammengebaut worden. Großvater, angestellt bei der Bahn, folgte dann der Aufforderung seiner Chefs, die Station Sagan mit dem letzten Zug zu verlassen, zusammen mit anderen ausgesuchten Bahnangehörigen. Ziel war die Donaustadt Passau. Am nächsten Tag kam das Signal zum Aufbruch. Mutter schirrte die Pferde an und reihte sich mit dem behelfsmäßigen Planwagen in den Treck der Flüchtenden ein. Großmutter weigerte sich aufzusitzen, aus Mitleid mit den geschundenen Pferden. Sie schob ihr Fahrrad hinter dem Wagen her. Mein Bruder und ich, er sechs, ich neun Jahre alt, wurden immer wieder aufgefordert, abzusteigen und nebenher zu laufen. Auf dem Wagen versuchte die Uroma, den schreienden Säugling zu beruhigen. Nach dem ersten Tag nächtigten wir in einer Scheune, gemeinsam mit allen Zugtieren. Im Osten glühte der Himmel und der Feuerschein drang zusammen mit der Kälte der Februarnacht durch die Ritzen des Scheunentors. Die flackernde Lohe hat mich ein Leben lang verfolgt. Noch zwanzig Jahre später stürzte mich ein harmloser Glanzrußbrand im Schornstein des Nachbargebäudes in Angstzustände. Damals in der Scheune horchte ich furchtsam nach draußen, ob das Grollen der Granateinschläge näher käme. Am nächsten
Morgen flüsterte Mutter ratlos mit Großmutter: Der
Schimmel is tot. In der Nacht hat er sich gelegt und is nich mehr
uffgestanden! Was nu? Der Eigensinn verließ Großmutter nie, nicht einmal, wenn eine Front womöglich marodierender Soldaten heranrückte. Doch die Angst vor der Roten Armee saß tief in uns, letztlich auch in Großmutter. Wir blieben im Schutze des Trecks und hofften auf die Hilfe der anderen Bauern. Vierzehn Tage lang mußte sich Lotte nun allein in die Stränge legen, um den schwerbeladenen Ackerwagen über Berg und Tal zu bringen, oft über sandige Waldwege, da die vorsichtigen Bauern auf der Landstraße Fliegerangriffe fürchteten. Vierzehn Nächte lang mußte sich Mutter an das müde Pferd lehnen, damit es sich nicht legte und dann, nach Eigenheit alter Pferde, nicht mehr würde aufstehen können. Die junge Frau und das alte Pferd schliefen gemeinsam im Stehen und wärmten einander. Mutter war damals zweiunddreißig, in der Blüte ihrer Jahre, gesund und kräftig. Auf ihr lastete die Verantwortung für die hinfällige Urgroßmutter und die drei Kinder, von denen das jüngste, der Säugling, gerade von einer gefährlichen Drüsenentzündung halbwegs genesen war und Pflege brauchte. Dazu bedrückte Mutter die ungewisse Zukunft, auch die Sorge um das in langen Jahren erschuftete kleine Besitztum im Heimatdorf. Zum Glück war wenigstens Oma noch rüstig und brauchte keine Hilfe. Mutter
hat durchgehalten, auch in anderen schweren Zeiten, und das Pferd
hat durchgehalten. Die Schicksalsgemeinschaft Mensch-Pferd setzte
sich auch in der neuen Heimat fort. Lotte wuchtete den Pflug im Gespann
mit dem riesigen Wallach des Nachbarn durch den Lehmboden der beiden
Neubauernstellen. Meine Eltern säten Luzerne und Hafer aus und
Lotte hatte ihr nahrhaftes Futter. Das Pferd erholte sich und überbrückte
mit seinen treuen Diensten die Zeit, bis die Maschinenausleihstationen
(MTS) Traktoren zur Verfügung stellten. |
|