"Ich
schieß' den Hirsch im wilden Forst, im tiefen Wald das Reh"
Vielseitige
Jagdausübung, eine Erlebniswelt, die ich lange herbeigesehnt hatte,
bestimmt meine Erinnerung an die Zeit im Teisendorfer Forstamt. Außer
gelegentlichen Beteiligungen an Treibjagden bei Forstmeister Steger
in Jettingen und am Forstamt Ville während meiner Assistentenjahre
in Brühl hatte ich ja noch keine jagdlichen Erfahrungen sammeln
können, doch nun wurde Sepp Lermer, Revierförster in Kirchanschöring,
mein Lehrherr. Er spürte meine Unsicherheit und gab aus seiner
reichen Erfahrung einfühlsame Ratschläge und praktische Hilfen.
Gleichzeitig bremste er meinen verständlichen, aber übertriebenen
Eifer.
Mein Vater
hatte sich anläßlich meiner Übernahme in den bayerischen
Staatsdienst überraschend großzügig gezeigt und mir
eine leichte, gut zu führende »Heym«-Bockbüchse
mit einem Wechsellauf für Schrot, Bereitschaftstaschen, Munition
und ein Nachtglas gekauft. Eingehend wurde ich nun von Sepp Lermer im
Waffengebrauch unterwiesen. Geduldig erklärte er mir das »Einstechen«
vor dem Kugelschuß und die Notwendigkeit einer sicheren Unterlage
beim Zielen und Feuern, »damit ma net muckst!« Das »Zeichnen«
des Wildes nach Blatt-, Krell- und Waidwundschüssen mußte
ich ebenso verstehen lernen wie das Verhalten am Anschuß und die
Notwendigkeit der Nachsuche. Dann erst nahm er mich mit zum gemeinsamen
Ansitz.
Mitte Juli
1963 schoß ich den ersten Rehbock. Er war schon zweimal zuvor
vor unserem Hochsitz im hohen Holz aufgetaucht, aber Lermer ließ
mich nicht schießen. Ich mußte meinen Jagdeifer zügeln
und sollte zunächst das Wild »ansprechen«, also Alter,
Gehörn, Körpergewicht und Schußentfernung schätzen.
Erst beim dritten Mal streckte ich den Rehbock, ohne Anzeichen von Jagdfieber,
nach sorgfältigem Zielen über Kimme und Korn mit einem Blattschuß.
Sepp legte mir anerkennend die Hand auf die Schulter.
Wir stiegen
ab und traten an das erlegte Stück. Der Revierförster brach
einen Erlenzweig und überreichte mir auf seinem durchschwitzten
Forsthut den mit dem Blut des Bockes getränkten Bruch, danach bekam
das tote Tier quer durch den Äser einen kleinen Zweig als »letzten
Bissen«, und wir drei Schütze, Förster und Hund
verharrten in kurzer Totenruhe. Anschließend machte ich
mich an die »rote Arbeit«, das Aufbrechen des Wildes.
Lermer
half mir beim Aufschärfen der Bauchdecke, ohne den Pansen zu verletzen,
und beim Ablegen des »kleinen Jägerrechtes« (Leber,
Herz und Nieren). Der braun-weiße Wachtelhund des Försters
musste mit einem Teil des Aufbruchs »genossen« gemacht werden;
der Bock wurde zum »Ausschweißen« an den Vorderläufen
an einen starken Ast gehängt. Später lernte ich im Zerwirkraum
der Försterei das kunstvolle Abtrennen des Gehörns mit Stirnknochen
und Nasenbein. Das Auskochen, das Bleichen der Trophäe mit Wasserstoffsuperoxyd
und das Beschriften dauerten mir fast schon zu lange. Zwei Stunden später
kehrte ich mit dem Bruch am Hut und dem »Gewichtl« im Rucksack
an das Forstamt zurück. Ich hätte vor Stolz die ganze Welt
umarmen können!
(...)
Die erfolgreich
bewältigte Vertretung des Forstamtes veranlasste die Oberforstdirektion,
mir den Abschuß eines Rothirschs der Klasse 1b zuzuteilen. Die
Bauern erzählten in der Gastwirtschaft, daß am Nordrand des
Staatswaldes während der Feistzeit ein starker Hirsch zur Äsung
auf die Wiesen austrat. Ich setzte mich auf die Hochsitze unterhalb
der Erschließungsstraße, hatte aber trotz mehrmaligen Wechsels
kein Jagdglück. Oberförster Gloß dagegen meldete in
diesen Tagen am Forstamt den Abschuß eines kapitalen Zwölfenders.
Während ich noch verzweifelt Ausschau hielt, hatten die Waldarbeiter
ihrem Förster schon die Stelle bezeichnet, an welcher der Hirsch
gesehen worden war, sie hatten ihn am Abend mehrmals beobachtet. Mit
süßsaurer Miene gratulierte ich Gloß zum Waidmannsheil.
An dem vorgelegten starken Geweih sah ich, welche jagdlichen Freuden
mir entgangen waren. Der glückliche Schütze versuchte, mich
zu trösten: Auch im Staatswald oberhalb der Forstdienststelle in
Achthal sei mehrmals ein guter Hirsch gesehen worden.
Als ich
am folgenden Abend auf den mir zugewiesenen Hochsitz zupirschte, sah
ich in einiger Entfernung einen starken Gamsbock äsen. Ich stand
gut gegen den Wind und konnte den Bock mit dem Glas im Abstand von etwa
hundert Metern ansprechen.
»Wenn
schon kein Hirsch ein solcher Gams wäre der gerechte Ausgleich«,
dachte ich mir. Ich legte mich hinter einen Felsblock, benutzte den
Rucksack als Auflage und zielte sorgfältig. Dann krümmte ich
den Zeigefinger. Der Schuß brach, und der Bock war verschwunden.
Ich atmete
tief durch, wartete einige Minuten und ging langsam zum Anschuß.
Kein Schweiß, kein Bock nichts! Das konnte doch nicht wahr
sein! Ich hatte nach dem Schuß sehen können, daß kein
Stück abgesprungen war. In der einsetzenden Dämmerung umkreiste
ich die Äsungsstelle; die Suche blieb ergebnislos. Unzufrieden
mit mir ging ich zum Motorrad zurück und verständigte den
Oberförster in Achthal. Es waren Gäste bei Familie Gloß:
ein befreundeter Kreisjägermeister aus Trier mit seiner entzückenden
Tochter. Der Oberförster jammerte nach meinem Bericht: Gerade diesen
Bock habe er jahrelang geschont; er sollte die Krönung seines Gamsabschusses
werden! Die Nachsuche wurde für den nächsten Morgen um 7 Uhr
vereinbart. Die Gäste, die eigentlich eine Stadtbesichtigung von
Salzburg geplant hatten, waren sofort Feuer und Flamme: Da wollten sie
mitmachen, dieses Jagdvergnügen wollte sich der »Jäger
aus Kurpfalz« nicht entgehen lassen!
Als ich
am folgenden Morgen gegen 6 Uhr 45 auf der Forstdienststelle vorfuhr,
waren der Oberförster und seine Gäste schon bereit. Der Kreisjägermeister
führte einen braun-weißen Kleinen Münsterländer,
der Revierleiter hatte seinen Rauhaardackel an der Leine. Wir stiegen
durch den Nadelwald hinauf zur Hiebsfläche, wo ich meinen Standort
und den Anschuß am vergangenen Abend markiert hatte. Die Hunde
wurden abgelegt; dann erklärten die beiden erfahrenen Waidmänner
mir jagdlichem Grünschnabel den Ablauf einer gut geplanten Nachsuche.
Bewundernd hörten das Mädchen und ich die mit Fachausdrücken
der Jägersprache gespickten Ausführungen über Schweißfährten,
Wundbett und rechtzeitiges Schnallen der Hunde. Ich erhielt Weisung,
mit geladenem Gewehr am Anschuß auszuharren, falls der Bock, von
den Hunden hochgemacht, nach rückwärts ausbrechen sollte.
»Diana« blieb in meiner Nähe.
Die Jäger
legten die Hunde an die lange Leine und verschwanden in einer nahen
Dickung. Wir hörten die Zweige brechen, es erklang ein zweistimmiges
»Such verloren!«, danach war Ruhe. Ich schäkerte mit
der hübschen Maid, es verging eine halbe Stunde, und die Sonne
stand hoch am Himmel. »Vielleicht bringt mir Diana Glück«,
dachte ich und schlug dem Mädchen vor, uns am Anschuß ein
wenig umzusehen.
Langästige
Fichten-Jungwüchse verdeckten den Stein, in dessen Nähe der
Gamsbock am Vorabend geäst hatte. Ich schob mit dem Fuß die
tiefhängenden Zweige beiseite, um darunterblicken zu können
und da lag der Bock in einer Mulde, aufs Blatt getroffen. In
überschwenglicher Freude faßte ich meine »Jagdgöttin«
um die Hüfte und busselte sie ab. Dann schoß ich mit dem
Schrotlauf in die Luft und machte mich ans Aufbrechen. Der Bock war
mindestens acht Jahre alt; nach Jahresringen, der Stärke und der
Krümmung des Gehörns zählte ich über hundert Punkte.
Am Forstamt Teisendorf sammelte ich viele jagdliche Erfahrungen. Nachdem
ich im Juli 1963 meinen ersten Rehbock geschossen hatte, gelang mir
im August 1964 der Abschuß eines kapitalen Gamsbocks.
Ich hatte
das Tier bereits zum Ausschweißen an einen Fichtenast gehängt
und das »Kleine Jägerrecht« im Rucksack verstaut, als
die beiden Nachsucher, verschwitzt und von den Zweigen der Dickung zerschunden,
mit ihren hechelnden Hunden auftauchten. Sie wollten nicht glauben,
was ich berichtete, aber das vergnügt lauschende Mädchen bestätigte
meine Darstellung. Kleinlaut geworden gab der Oberförster zu, daß
sein Dackel in der Nähe des Anschusses heftig nach rechts gezogen
habe (dahin, wo der Bock tatsächlich gelegen hatte), doch er habe
der guten Nase seines Hundes nicht getraut.
Der Kreisjägermeister
sagte gar nichts, sondern zog ein Jagdhorn aus dem Rucksack und blies
das Signal »Gams tot«. Gloß und ich schleppten den
Bock zu einer nahen Waldarbeiterhütte. Während sich die beiden
Männer am Brunnen wuschen, fuhr ich hinab zur Forstdienststelle.
In der Achthaler Gastwirtschaft kaufte ich einige Flaschen Bier und
ließ mir dazu Wurst, Käse und Brot einpacken. Wir haben an
diesem Tag den Gamsbock gebührend »totgetrunken«, und
mir blieben außer dem guten »Gewichtl« Erinnerungen
an eine Jagd voller Überraschungen und menschlicher Unzulänglichkeiten.
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