Leseprobe

Bruno Rettelbach
Am schönsten hat's die Forstpartie

Erinnerungen 1945-1967

224 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Broschiert
Sammlung der Zeitzeugen (39)
ISBN 3-933336-88-0
14,80 EUR

Leserstimmen »


"Ich schieß' den Hirsch im wilden Forst, im tiefen Wald das Reh"

Vielseitige Jagdausübung, eine Erlebniswelt, die ich lange herbeigesehnt hatte, bestimmt meine Erinnerung an die Zeit im Teisendorfer Forstamt. Außer gelegentlichen Beteiligungen an Treibjagden bei Forstmeister Steger in Jettingen und am Forstamt Ville während meiner Assistentenjahre in Brühl hatte ich ja noch keine jagdlichen Erfahrungen sammeln können, doch nun wurde Sepp Lermer, Revierförster in Kirchanschöring, mein Lehrherr. Er spürte meine Unsicherheit und gab aus seiner reichen Erfahrung einfühlsame Ratschläge und praktische Hilfen. Gleichzeitig bremste er meinen verständlichen, aber übertriebenen Eifer.

Mein Vater hatte sich anläßlich meiner Übernahme in den bayerischen Staatsdienst überraschend großzügig gezeigt und mir eine leichte, gut zu führende »Heym«-Bockbüchse mit einem Wechsellauf für Schrot, Bereitschaftstaschen, Munition und ein Nachtglas gekauft. Eingehend wurde ich nun von Sepp Lermer im Waffengebrauch unterwiesen. Geduldig erklärte er mir das »Einstechen« vor dem Kugelschuß und die Notwendigkeit einer sicheren Unterlage beim Zielen und Feuern, »damit ma net muckst!« Das »Zeichnen« des Wildes nach Blatt-, Krell- und Waidwundschüssen mußte ich ebenso verstehen lernen wie das Verhalten am Anschuß und die Notwendigkeit der Nachsuche. Dann erst nahm er mich mit zum gemeinsamen Ansitz.

Mitte Juli 1963 schoß ich den ersten Rehbock. Er war schon zweimal zuvor vor unserem Hochsitz im hohen Holz aufgetaucht, aber Lermer ließ mich nicht schießen. Ich mußte meinen Jagdeifer zügeln und sollte zunächst das Wild »ansprechen«, also Alter, Gehörn, Körpergewicht und Schußentfernung schätzen. Erst beim dritten Mal streckte ich den Rehbock, ohne Anzeichen von Jagdfieber, nach sorgfältigem Zielen über Kimme und Korn mit einem Blattschuß. Sepp legte mir anerkennend die Hand auf die Schulter.

Wir stiegen ab und traten an das erlegte Stück. Der Revierförster brach einen Erlenzweig und überreichte mir auf seinem durchschwitzten Forsthut den mit dem Blut des Bockes getränkten Bruch, danach bekam das tote Tier quer durch den Äser einen kleinen Zweig als »letzten Bissen«, und wir drei – Schütze, Förster und Hund – verharrten in kurzer Totenruhe. Anschließend machte ich mich an die »rote Arbeit«, das Aufbrechen des Wildes.

Lermer half mir beim Aufschärfen der Bauchdecke, ohne den Pansen zu verletzen, und beim Ablegen des »kleinen Jägerrechtes« (Leber, Herz und Nieren). Der braun-weiße Wachtelhund des Försters musste mit einem Teil des Aufbruchs »genossen« gemacht werden; der Bock wurde zum »Ausschweißen« an den Vorderläufen an einen starken Ast gehängt. Später lernte ich im Zerwirkraum der Försterei das kunstvolle Abtrennen des Gehörns mit Stirnknochen und Nasenbein. Das Auskochen, das Bleichen der Trophäe mit Wasserstoffsuperoxyd und das Beschriften dauerten mir fast schon zu lange. Zwei Stunden später kehrte ich mit dem Bruch am Hut und dem »Gewichtl« im Rucksack an das Forstamt zurück. Ich hätte vor Stolz die ganze Welt umarmen können!

(...)

Die erfolgreich bewältigte Vertretung des Forstamtes veranlasste die Oberforstdirektion, mir den Abschuß eines Rothirschs der Klasse 1b zuzuteilen. Die Bauern erzählten in der Gastwirtschaft, daß am Nordrand des Staatswaldes während der Feistzeit ein starker Hirsch zur Äsung auf die Wiesen austrat. Ich setzte mich auf die Hochsitze unterhalb der Erschließungsstraße, hatte aber trotz mehrmaligen Wechsels kein Jagdglück. Oberförster Gloß dagegen meldete in diesen Tagen am Forstamt den Abschuß eines kapitalen Zwölfenders.
Während ich noch verzweifelt Ausschau hielt, hatten die Waldarbeiter ihrem Förster schon die Stelle bezeichnet, an welcher der Hirsch gesehen worden war, sie hatten ihn am Abend mehrmals beobachtet. Mit süßsaurer Miene gratulierte ich Gloß zum Waidmannsheil. An dem vorgelegten starken Geweih sah ich, welche jagdlichen Freuden mir entgangen waren. Der glückliche Schütze versuchte, mich zu trösten: Auch im Staatswald oberhalb der Forstdienststelle in Achthal sei mehrmals ein guter Hirsch gesehen worden.

Als ich am folgenden Abend auf den mir zugewiesenen Hochsitz zupirschte, sah ich in einiger Entfernung einen starken Gamsbock äsen. Ich stand gut gegen den Wind und konnte den Bock mit dem Glas im Abstand von etwa hundert Metern ansprechen.

»Wenn schon kein Hirsch – ein solcher Gams wäre der gerechte Ausgleich«, dachte ich mir. Ich legte mich hinter einen Felsblock, benutzte den Rucksack als Auflage und zielte sorgfältig. Dann krümmte ich den Zeigefinger. Der Schuß brach, und der Bock war verschwunden.

Ich atmete tief durch, wartete einige Minuten und ging langsam zum Anschuß. Kein Schweiß, kein Bock – nichts! Das konnte doch nicht wahr sein! Ich hatte nach dem Schuß sehen können, daß kein Stück abgesprungen war. In der einsetzenden Dämmerung umkreiste ich die Äsungsstelle; die Suche blieb ergebnislos. Unzufrieden mit mir ging ich zum Motorrad zurück und verständigte den Oberförster in Achthal. Es waren Gäste bei Familie Gloß: ein befreundeter Kreisjägermeister aus Trier mit seiner entzückenden Tochter. Der Oberförster jammerte nach meinem Bericht: Gerade diesen Bock habe er jahrelang geschont; er sollte die Krönung seines Gamsabschusses werden! Die Nachsuche wurde für den nächsten Morgen um 7 Uhr vereinbart. Die Gäste, die eigentlich eine Stadtbesichtigung von Salzburg geplant hatten, waren sofort Feuer und Flamme: Da wollten sie mitmachen, dieses Jagdvergnügen wollte sich der »Jäger aus Kurpfalz« nicht entgehen lassen!

Als ich am folgenden Morgen gegen 6 Uhr 45 auf der Forstdienststelle vorfuhr, waren der Oberförster und seine Gäste schon bereit. Der Kreisjägermeister führte einen braun-weißen Kleinen Münsterländer, der Revierleiter hatte seinen Rauhaardackel an der Leine. Wir stiegen durch den Nadelwald hinauf zur Hiebsfläche, wo ich meinen Standort und den Anschuß am vergangenen Abend markiert hatte. Die Hunde wurden abgelegt; dann erklärten die beiden erfahrenen Waidmänner mir jagdlichem Grünschnabel den Ablauf einer gut geplanten Nachsuche. Bewundernd hörten das Mädchen und ich die mit Fachausdrücken der Jägersprache gespickten Ausführungen über Schweißfährten, Wundbett und rechtzeitiges Schnallen der Hunde. Ich erhielt Weisung, mit geladenem Gewehr am Anschuß auszuharren, falls der Bock, von den Hunden hochgemacht, nach rückwärts ausbrechen sollte. »Diana« blieb in meiner Nähe.

Die Jäger legten die Hunde an die lange Leine und verschwanden in einer nahen Dickung. Wir hörten die Zweige brechen, es erklang ein zweistimmiges »Such verloren!«, danach war Ruhe. Ich schäkerte mit der hübschen Maid, es verging eine halbe Stunde, und die Sonne stand hoch am Himmel. »Vielleicht bringt mir Diana Glück«, dachte ich und schlug dem Mädchen vor, uns am Anschuß ein wenig umzusehen.

Langästige Fichten-Jungwüchse verdeckten den Stein, in dessen Nähe der Gamsbock am Vorabend geäst hatte. Ich schob mit dem Fuß die tiefhängenden Zweige beiseite, um darunterblicken zu können – und da lag der Bock in einer Mulde, aufs Blatt getroffen. In überschwenglicher Freude faßte ich meine »Jagdgöttin« um die Hüfte und busselte sie ab. Dann schoß ich mit dem Schrotlauf in die Luft und machte mich ans Aufbrechen. Der Bock war mindestens acht Jahre alt; nach Jahresringen, der Stärke und der Krümmung des Gehörns zählte ich über hundert Punkte.


Am Forstamt Teisendorf sammelte ich viele jagdliche Erfahrungen. Nachdem ich im Juli 1963 meinen ersten Rehbock geschossen hatte, gelang mir im August 1964 der Abschuß eines kapitalen Gamsbocks.

Ich hatte das Tier bereits zum Ausschweißen an einen Fichtenast gehängt und das »Kleine Jägerrecht« im Rucksack verstaut, als die beiden Nachsucher, verschwitzt und von den Zweigen der Dickung zerschunden, mit ihren hechelnden Hunden auftauchten. Sie wollten nicht glauben, was ich berichtete, aber das vergnügt lauschende Mädchen bestätigte meine Darstellung. Kleinlaut geworden gab der Oberförster zu, daß sein Dackel in der Nähe des Anschusses heftig nach rechts gezogen habe (dahin, wo der Bock tatsächlich gelegen hatte), doch er habe der guten Nase seines Hundes nicht getraut.

Der Kreisjägermeister sagte gar nichts, sondern zog ein Jagdhorn aus dem Rucksack und blies das Signal »Gams tot«. Gloß und ich schleppten den Bock zu einer nahen Waldarbeiterhütte. Während sich die beiden Männer am Brunnen wuschen, fuhr ich hinab zur Forstdienststelle. In der Achthaler Gastwirtschaft kaufte ich einige Flaschen Bier und ließ mir dazu Wurst, Käse und Brot einpacken. Wir haben an diesem Tag den Gamsbock gebührend »totgetrunken«, und mir blieben außer dem guten »Gewichtl« Erinnerungen an eine Jagd voller Überraschungen und menschlicher Unzulänglichkeiten.


Autor

Bruno Rettelbach, geboren 1924 in Ludwigshafen, nach dem Abitur 1942 als Freiwilliger zur Wehrmacht. Einsätze an der Invasionsfront 1944 in Frankreich und in Ostpreußen; im September 1945 aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Studium der Forstwissenschaften 1946 bis 1949 in München. Von 1954 bis 1963 Geschäftsführer der Landesgruppe Bayern des Deutschen Pappelvereins. Staatsexamen 1959 und Übernahme in die Bayerische Staatsforstverwaltung 1963. Leiter des Forstamtes Neunburg vorm Wald (Oberpfalz) von 1968 bis zur Pensionierung 1989. Lebt seit 1989 in Bad Reichenhall und ist dort seit 1996 für Bündnis 90/Die Grünen als Stadtrat und als Umweltreferent tätig.