[Oldenburg
- Neapel, Italien; 1955/56]
Ingeborg
Werneken
O mia bella Napoli
Als
nach dem großen Kriege zehn Jahre vergangen waren, hatten die
Deutschen wieder ein Dach über dem Kopf und sich so richtig satt
gegessen, so daß sie begannen, nach neuen Genüssen Ausschau
zu halten. Schicke Kleidchen wippten über Petticoats und das Pferdeschwänzchen",
die neue Haartracht, wehte im Wind, wenn die Teenager-Girls sich fest
an ihre Boys klemmend mit Tempo 60 auf ihren Motorrollern durch die
Straßen brausten. Etwas ältere Semester, wie wir, gesetzt
und mit Familie, dachten an ein Auto, ein kleines. Eines Tages stand
tatsächlich ein Käfer", kaum 100.000 Kilometer
auf dem Buckel, vor unserer Haustür.
Dann
brach das Reisefieber aus. Aus den neuen Radios erklang O mia
bella Napoli" und Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt"
und die Germanen starrten wie 2000 Jahre vordem ihre Vorfahren, gebannt
auf Bella Italia, denn Kennst du das Land ..." hatte schon
Goethe gefragt. Die erste Blechlawine setzte sich in Gang über
die damals noch nicht untertunnelten Berge, rastlos über Schotterstraßen,
vorbei an ungeschützten Steilhängen über die Alpen, wie
weiland Hannibal mit seinen Elefanten.
In
Italien brach die große Freude aus. Campingplätze wurden
angelegt, die ersten Bettenburgen, drei bis vier Stockwerke hoch, reckten
sich gen Himmel. Und wenn abends beim Mandolinenklang die Nachbarn aus
dem kalten Norden es gar
so schlimm trieben in trunkener und ungewohnter Weinseligkeit, sprach
man hinter vorgehaltener Hand schon mal vom Furor(e) Teutonicus",
denn seit 2000 Jahren hatten die zarten und feinsinnigen Südländer
den Sturm, der damals über sie hinwegbrauste, nicht vergessen.
Meine
beiden Töchter vor einem
Kiosk in Italien mit einem Mickymaus-Heft auf Italienisch.
Um
mehr und immer mehr dieser blonden Riesen ins Land zu locken -und lange
bevor der Teutonengrill an der Adria Wirklichkeit wurde - gab man Benzingutscheine
aus, die den kostbaren Treibstoff ins gelobte Land verbilligten, während
die Eingeborenen zähneknirschend einen hohen Preis zahlen mußten.
Und - man kennt das ja bei diesen Südländern - sie waren ohne
Maß und Ziel und verschwendeten die Marken mit vollen Händen.
Daraus entwickelte sich eine Art Geschäft", von Nutzen
für beide Seiten: Man brauchte bei der Reiseplanung
nur vier Wochen Sizilien" anzumelden, um verbilligte
Bons für 3000 Kilometer zu erhalten. Tatsächlich fuhr man
nur bis zum Gardasee und verkaufte die überflüssigen 2000-Kilometer-Marken
mit Aufpreis an die schon wartenden Italiener. So mancher deutsche Urlauber
finanzierte auf diese Art einen Teil seines Urlaubs. O bella Italia!
Wir
gehörten selbstverständlich nicht zu jener Sorte von Zeitgenossen.
Oh nein, wir fuhren bis Neapel und hatten, na sagen wir mal, Marken
bis Salerno. Reine Vorsorge, versteht sich. Man benötigte ja auch
Benzin zum Hin- und Herfahren, denn ich mochte keine Stadt verlassen,
ehe ich nicht sämtliche Kirchen und Museen von innen bestaunt,
jeden Marktplatz besichtigt und an jeder Ausgrabungsstätte heimlich
gebuddelt hatte. Zum Leidwesen unserer beiden Töchterchen, deren
kleine Beinchen manchmal nicht mehr mitlaufen wollten.
So
zogen wir träumenden Herzens, den alten VW bis übers Dach
beladen mit Zelt, Gaskocher, Bettwäsche und zwei kleinen
Blondschöpfen, auch im Jahr 1956 durch das gelobte Land voller
Sonne, Wärme, Wein und Papagalli immer weiter nach Süden.
Wir kamen nach Herculaneum, und besichtigten dann die Ausgrabungen in
Pompej. In das berühmte Freudenhaus mit den obszönen _ heute
nennt man das erotisch _ Wandmalereien durften nur die Männer eintreten,
ich mußte vor der Tür bleiben, die Kinder natürlich
auch. Alles ging gesittet zu, niemand wäre im Badeanzug in den
Speisesaal oder über die Straße gegangen, und für Besichtigungen
hatte man seine Sonntagskleidung mit.

Neapel
sehen und dann sterben" - heißt es. Ein besonderes Andenken
sollte mich zehn Jahre lang an unseren Urlaub 1956 erinnern.
In
Napoli, wo der Vesuv gerade streikte" und die berühmte
Rauchfahne nicht über der Bucht stand, wollte ich wenigstens das
vielbesungene Santa Lucia" sehen, das Hafenviertel. Ich ahnte
ja nicht, was uns dort erwartete: Hütten aus Blech und Pappe, bettelnde
Kinder, Steinwürfe und Schwarzhändler - späte Kriegsfolgen.
Zwei
Uhren wollte man uns verkaufen, eine für Papa und eine für
Mama, natürlich aus echtem Gold. Diese Spangenuhr sah wirklich
picobello aus, aber 50 Mark waren damals viel Geld. Und überhaupt
hatten wir ja unsere Prinzipien: wir kaufen doch keine keine illegale
Ware!
Doch
als wir mit Müh' und Not und vielfachem No, no, no!"
endlich wieder im Wagen saßen, steckten diese Unermüdlichen,
Aufdringlichen ihre schwarzgelockten Schöpfe ins geöffnete
Autofenster und flüsterten Benzinbon".
Was
soll ich sagen? Mindestens
zehn Jahre hatte ich Freude an meiner echt goldenen" Spangenuhr,
wenn sie auch von Jahr zu Jahr silberner wurde. Aber was soll's, Gold
vergeht, Erinnerung bleibt. O mia bella Napoli!
Weitere
Leseproben aus dem Buch "Unvergessene Ferienzeit" >>
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