Am
Brunnen vor der Laube
Das Leben in unserer Laube war, trotz der Vorteile, die uns der Garten
bot, oft beschwerlich. Die Laube stand in einer Laubenkolonie, dem
Pflanzerverein »Einigkeit« Reste davon sind noch
heute erhalten. Die Wege waren unbefestigt und bis auf den Hauptweg,
den Eichhorster Weg, nicht breiter als zwei bis vier Meter. Wir hatten
nur Ofenheizung und keine Wasserver- und Abwasserentsorgung. Das Trinkwasser
beschafften wir über eine Gartenpumpe. Da es aus einer Schwengelpumpe
kam, hielten wir stets einen Wasservorrat in einem Eimer im Hause.
Bei Minustemperaturen im Winter mussten wir das Wasser im Pumprohr
ablassen, damit es nicht einfror. Bei Bedarf pumpten wir wieder mit
kochend heißem Wasser hoch.
Die große Wäsche war immer eine besondere Herausforderung.
Jeden Tropfen Wasser mussten wir hochpumpen und anschließend
die Wäsche in einem Zinkkessel über offenem Feuer kochen
und spülen auch im Winter bei tiefen Minusgraden. Dann
hingen wir die Wäsche draußen im Garten oder auf dem niedrigen
Spitzboden über der Laube auf. Einen faszinierenden Anblick boten
im Winter die steif gefrorenen Hosen und Hemden, die wir einfach hinstellen
konnten: echte Gespensterkleidung. Waschtag war immer ein harter Arbeitstag,
an dem wir nur Aufgewärmtes oder Stulle aßen.
Ein Kühlschrank fehlte uns im Winter zumindest nicht. Die Wohnlaube
kühlte im Winter bei Frost in der Nacht häufig so stark
aus, dass wir das Wasser im Eimer in der Küche am Morgen erst
mit einem Hämmerchen aufhacken mussten, bevor wir uns waschen
oder die Zähne putzen konnten. Erfrischende Eisstückchen
im Wasser sorgten dafür, dass die Müdigkeit rasch verschwand.
Selbst wenn wir heizten, wucherten an den Einfachglasfenstern herrliche
Eisblumen. Dann konnten wir nur im linken oberen Drittel des Fensters
bis höchstens zur Hälfte nach draußen sehen. Durch
das am oberen Rand der Scheibe abtauende Kondenswasser, das hinunterfloss
und an der Scheibe unten wieder gefror, bildete sich am Fuße
des Rahmens häufig eine Zentimeter dicke Eisschicht, die am unteren
Holzrahmen wochenlang nicht abschmolz. Da das Brennholz rar war, haben
wir auch nie sehr stark geheizt.
Einer der beiden Räume der Laube wurde als Wohnzimmer bezeichnet,
weil darin eine Schlafcouch, ein Bücherschrank und die Nähmaschine
standen. Auf Letzterer befand sich ein kleines Radio. Auch einen altertümlichen
Kleiderschrank von 1890 hatten wir aus der ausgebombten Wohnung meiner
Großeltern in dieses Zimmer gerettet. Außerdem zierte
das Wohnzimmer ein braun glänzender, viereckiger Kachelofen,
etwa 1,50 Meter hoch. Glühten im Ofen die Briketts, hielt er
die Wärme über zwölf Stunden. Mutter schärfte
uns immer ein, auf vollständiges Durchglühen der Kohle zu
achten und den Ofen nicht vorzeitig zu schließen, da sich sonst
tödliche Gase bilden würden.
In diesem Zimmer auf der Couch schlief auch mein älterer Bruder
Ralf und hatte damit ein besonderes Privileg: eine eigene Schlafstelle.
In dem anderen, dem zweiten Zimmer der Laube stand das Ehebett, in
dem wir zu viert schliefen, unsere Mutter und wir drei anderen Kinder.
Das Bett hatte mein Vater aus unserem zerbombten Haus in der Sickingenstraße
gerettet und notdürftig repariert.
Das »Schlafzimmer«, der schmale Gang zwischen Außenwand
und Bett, wurde durch einen Kanonenofen beheizt, dessen Rohr durch
die Wand nach außen geführt wurde. Dieser Ofen wurde zwar
schnell sehr heiß wir konnten auf seiner Platte sogar
Wasser zum Kochen bringen , kühlte aber auch ebenso schnell
wieder aus, wenn Holz oder Kohle verglüht waren.
Kinderspiele
und Tauschhandel
Die Versorgung mit Essen, Brennmaterial und Kleidung blieb das große
Problem jener Tage des so genannten Neuanfangs nach dem Zweiten Weltkrieg.
Immer zu Beginn des Winters musste genügend Holz im Schuppen
gestapelt sein, damit es gut austrocknen konnte. Diesen Neuanfang,
wie er in Zeitanalyen heute oft bezeichnet wird, empfanden viele damals
eher als Strafe für die Nazizeit. Andere wollten sich einfach
so heil wie möglich in bessere Zeiten retten. Was wir in dieser
Zeit machten, lässt sich zusammenfassend mit einem Wort ausdrücken:
überleben. Das war viel. Eigentlich war es alles. Dass wir überlebten,
ohne schweren psychischen Schaden zu nehmen, ist, so denke ich heute,
auch das Verdienst der Religion.
Mit einigen hundert Quadratmetern Gartenfläche, etwa zehn guten
Obstbäumen, einigen Hühnern, Kaninchen und zeitweise sogar
zwei Gänsen war unsere Zusatzversorgung an Nahrungsmitteln gesichert.
Unsere Gänse trugen richtige Namen, auf die sie auch hörten.
Wir Kinder hatten die Aufgabe, sie zu hüten. Laut schnatternd
warteten sie hinter der Gartentür darauf, ausgeführt zu
werden. Zuerst ging einer von uns den schmalen Zimmermannsweg etwa
50 bis 100 Meter in Richtung Wiese vor und wartete am Ende des Weges.
Waren Menschen unterwegs, machte der andere das Tor auf und ließ
die Gänse hinaus. Unverzüglich setzten sie sich laut schnatternd
in Bewegung und schwebten knapp einen Meter über dem Boden ihrem
Ziel entgegen. Die Fußgänger drückten sich dabei ängstlich
an die Gartenzäune, denn die Gänse entwickelten eine beachtliche
Geschwindigkeit. Passiert ist dabei nie etwas, denn Gänse haben
eine ausgezeichnete Navigation. Doch das wussten die Leute offenbar
nicht. Unsere Mutter musste sich wegen unseres Spiels hin und wieder
Klagen anhören.
Beliebt bei uns Kindern war auch das so genannte Fliegenspiel. Fliegen
waren auf dem Laubengelände mit Plumpsklo vor allem im Sommer
ungeheuer zahlreich. Heute hätten wir das wohl gar nicht spielen
können. Bei dem Fliegenspiel hanelte es sich um eine Art Geschicklichkeitswettbewerb.
Jeder Teilnehmer erhielt eine Schüssel mit Wasser; in einer bestimmten
Zeit musste man mit der Hand so viele Fliegen fangen wie möglich
und diese in die Wasserbehälter schmettern. Am Ende der Spielzeit
wurden die schwimmenden Fliegen gezählt. Derjenige, in dessen
Behälter die meisten Fliegen schwammen, hatte gewonnen. Mein
Rekord: 36 Fliegen für eine Stunde Fangarbeit mit der Hand. Meist
spielte ich gegen meine jüngeren Brüder Hartmut und Peter;
Ralf beteiligte sich nicht daran, er fand das Spiel unter seiner Würde.
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