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Sterne
über Ost und West Broschiert, 128
Seiten, zahlreiche Abbildungen. |
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Leseproben aus »Sterne über Ost und West« Von
New York nach Rostock [zum kompletten Inhaltsverzeichnis] Von New York nach Rostock (...) Im April 1935 zogen wir nach Rostock in ein Zweifamilienhaus in der so genannten Gartenstadt. Schon am Umzugstag lernte ich meinen neuen Freund Wolfram kennen. Wie sein Vater wurde er später Posaunist beim Rostocker Symphonie-Orchester. Bis 1943, als wir in verschiedene KLV-Lager kamen, hatten wir im ganzen Viertel nahezu alle Familien mit Kindern kennen gelernt, nicht zuletzt auch durch das Schlangestehen vor Milch- oder Bäckerläden. Rostock, Rosenweg, wo wir von 1935 bis 1938 wohnten. Schon am Umzugstag traf ich Wolfram, meinen neuen Freund. Foto um 1980. Mein Vater
war nun Kassenprüfer beim Raiffeisen-Verband, für den er schon
vor 1929 gearbeitet hatte. Montags fuhr er mit Bus und Bahn zu den Raiffeisen-Kassen
in den ländlichen Regionen Mecklenburgs, freitags oder sonnabends
kam er zurück. Unzertrennlich.
Wolfram und ich im September 1939. In unserem Leben wie in dem unserer Bekannten spielten die Nazis keine Rolle. Niemand von uns ging zu Parteiveranstaltungen und kein Blockwart oder Zellenleiter kümmerte sich um uns. Unsere Tageszeitung war der »Rostocker Anzeiger«, sicher gleichgeschaltet wie alle anderen Zeitungen, aber eben die einzige Informationsquelle für lokale Ereignisse und für große Politik. (...) Ostern 1937 wurde ich eingeschult. Auf dem Klassenfoto sieht man auch einen etwa zwölfjährigen Roma oder Sinti, der vorübergehend am Unterricht teilnahm. Die Fibel handelte von »Heini und Leni«, an nazistische oder militaristische Inhalte erinnere ich mich nicht. Klassenfoto vom Mai 1937. Zu Ostern war ich eingeschult worden. Ich bin in der dritten Reihe der Dritte von rechts. Der Junge ganz hinten ist ein Roma oder Sinti, der für einige Zeit am Unterricht teilnahm. Den ersten vagen Hinweis auf einen möglichen Krieg gab es im Winter 1937/38: Eine Verdunkelungsübung war angeordnet. Alle Fenster waren so mit schwarzem Papier zu versehen, dass kein Licht nach draußen drang. Am nächsten Morgen fragte ich meine Mutter, ob denn die Flugzeuge da gewesen wären.Im Frühjahr 1938 zogen wir zwei Straßen weiter. Ab jetzt hatten wir auch ein Radio, einen sogenannten Volksempfänger. Damit konnten wir aber nur einen Langwellensender, den »Deutschlandsender«, empfangen und das unter starkem Rauschen. Zwei Häuser weiter wohnte ein SS-Arzt mit seiner Frau. Zu ihnen hatte keiner der Nachbarn Kontakt. Er besaß eines der zwei Autos in unserer Straße. Wenn er nach Hause kam, hupte er, damit das Dienstmädchen die Garage öffnete. 1945 vergiftete er sich und seine Frau. Einige Häuser weiter lebte eine Familie mit zwei Söhnen, der eine etwas älter, der andere etwas jünger als ich: Adolf und Hermann. Zu dieser Zeit kaufte man auch noch im jüdischen Kaufhaus Wertheim, neben »Zeeck« das größte Kaufhaus in Rostock. Ich hörte aber, wie Nachbarn darüber sprachen, ob man das noch riskieren könne. An die »Reichskristallnacht« habe ich keine persönlichen Erinnerungen. Die Russen kommen Um den 25. April 1945 fuhren wir ein letztes Mal mit der Eisenbahn von Schwerin nach Rostock. Dicht gedrängt standen wir auf der Plattform eines Personenwagens, als mich plötzlich der Teufel ritt und ich unsere Mutter auf den Takt der Eisenbahnräder aufmerksam machte: Bum, bum, bum bum; bum, bum, bum bum. Wie das Pausenzeichen von BBC London, dem Feindsender. Meine Mutter blieb äußerlich ganz ruhig, aber tatsächlich hatte sie einen fürchterlichen Schreck bekommen. Um keinem Mitreisenden Gelegenheit zu geben, uns auf dem Hauptbahnhof bei der Polizei anzuschwärzen, stieg sie beim nächsten Stopp, der letzten Station vor Rostock, urplötzlich mit uns aus. Wie könne ich nur sooo leichtsinnig sein, warf sie mir zu Recht vor. Zu Fuß wanderten wir heimwärts. Kurz vor dem Ziel mussten wir einen Panzergraben überqueren, den an den Tagen zuvor Rostocker Einwohner rund um die Stadt hatten ausheben müssen. Am Abend bestätigte BBC London unsere Befürchtung: Die Amerikaner würden vermutlich nur bis Schwerin und Wismar vorstoßen, Rostock aber würde von den Russen besetzt werden. Diese Meldung entschied, wo wir das Kriegsende erwarten wollten: Auf dem Bauernhof meines Onkels im Klützer Winkel, zwischen Wismar und Lübeck, wo Großmutter A. schon angekommen war. Unsere Mutter nähte aus ihrem Sommermantel einen großen Sack für die wichtigsten Utensilien, die wir mitnehmen wollten, und brachte die Wohnung auf Hochglanz, damit die Russen keinen schlechten Eindruck bekommen sollten. Ich grub im Innern unserer Gartenlaube eine Grube für die alte Seekiste von Großvater, in der dann unsere wertvollsten Dinge wie das drei Generationen alte Familiengeschirr verstaut wurden. Am Boden der Grube hob ich noch eine zweite, kleinere Vertiefung aus für die Stahlkassette mit den allerwertvollsten Dingen wie den Fotoalben. Wir hofften, dass etwaige Schatzjäger, wenn sie die Seekiste gefunden hätten, nicht noch tiefer nach Schätzen suchen würden. Zwischendurch wurden die Lebensmittelkarten leer gekauft und alles Essbare in Taschen und Rucksäcken verstaut. Früh am Morgen des 30. April, einem Montag, brachen wir auf. Zwei Tage, bevor die Russen kamen. Ich schob mein Fahrrad, das mit dem »Mantelsack« und vielen Taschen voll beladen war, unsere Mutter und mein achtjähriger Bruder liefen nebenher, ebenfalls mit Rucksäcken und Taschen bepackt. Auf der heutigen B 105 ging es westwärts, mitten im sich endlos dahinziehenden Strom aus Flüchtlingstrecks und Wehrmachtsfahrzeugen. Schon kurz hinter der Abzweigung nach Warnemünde bot sich uns die Gelegenheit, in einem Funkwagen der Wehrmacht mitzufahren. Fahrrad und Sack wurden auf dem Dach verstaut, wir im Innern des Fahrzeugs zwischen den Funkgeräten. Am Abend war in Wismar Endstation. Wir übernachteten im überfüllten Wartesaal des Bahnhofs und am Morgen des 1. Mai zogen wir weiter Richtung Klütz. Inzwischen hatten wir auf dem Kopf und in der Kleidung heimliche Begleiter: Läuse. Wieder dauerte es nicht lange, bis ein Wehrmachtsauto hielt und wir zur Mitfahrt eingeladen wurden. Bis Klütz. Damit waren wir praktisch am Ziel, denn nun lagen nur noch rund zehn Kilometer Feldweg vor uns. Schon tauchte am Horizont das Dach des Bauernhauses auf, als von hinten ein Pkw nahte und bei uns stoppte. Der Fahrer, ein SS-Mann, fragte nach dem Weg zum Bauernhof meines Onkels. Als er erfuhr, dass wir ebenfalls dorthin wollten, riet er uns, umzukehren, da der Hof zu einer Verteidigungsstellung ausgebaut und von allen Zivilpersonen geräumt werde. Sprachs und fuhr davon. 20 Minuten später waren auch wir am Ziel. Der
abgelegene Bauernhof meines Onkels im Klützer Winkel, zwischen
Wismar und Lübeck. Hier arbeitete ich in den Sommerferien und hier
erwarteten wir Anfang Mai 1945 das Kriegsende. Der Hof war 1946 Ausgangspunkt
spezieller »astronomischer Expeditionen«. Die erste Expedition Die Sommerferien 1946 verbrachten wir auf dem Bauernhof unseres Onkels, etwa 20 Kilometer östlich von Lübeck. Dort hatte ich schon in all den Kriegsjahren in den Ferien bei der Ernte geholfen. Diesmal ging natürlich das Fernrohr mit auf die Reise, auch wenn am Ende der vielstündigen Bahnfahrt von Rostock nach Wismar noch rund 25 Kilometer zu Fuß zurückzulegen waren und bei der Rückreise auf die entsprechende Menge Eier, Butter und Korn verzichtet werden musste. In der Veranda des Bauernhauses fand ich das ideale Stativ für mein Fernrohr: einen etwa eineinhalb Meter hohen, säulenartigen Ständer für Blumentöpfe. Der Ständer war leicht nach draußen zu transportieren, so dass die Beobachtungen im Freien erfolgen konnten. Ebenfalls eifrige »Beobachter«. Für meine Cousinen und Vettern war die Besichtigung von Mond, Venus und Jupiter ein seltenes Erlebnis. Für
unsere Verwandten war die Besichtigung von Mond, Venus als Abendstern
und Jupiter natürlich ein seltenes Erlebnis, das sie sich auch
nach einem harten Arbeitstag nicht entgehen ließen. Wir Kinder,
mit 15 Jahren war ich der Älteste, visierten am Tage aber auch
irdische Ziele an. Von einer Anhöhe, auf der sich ein Hügelgrab
befand, beobachteten wir die holsteinische Küste jenseits der Lübecker
Bucht. Nicht zu übersehen war die in der Bucht kieloben liegende
»Kap Arkona«, die noch in den letzten Kriegstagen mit vielen
Hunderten KZ-Häftlingen an Bord bombardiert worden und gekentert
war. An
der Pötenitzer Wiek, wo mein Cousin und ich 1946 nach astronomisch
verwertbarem Gerät stöberten. Bei meinem Besuch im Sommer
1990 sind immer noch Trümmerreste des ehemaligen Luftwaffen-Zeuglagers
zu sehen. Drei Versionen eines Spiegelteleskops Seit Mitte 1946 schickten uns in den USA lebende Verwandte und Bekannte dann und wann Lebensmittelpakete, die stets auch Zigaretten und Bohnenkaffee, die einzige harte Währung der damaligen Zeit, enthielten. Und diese brauchte man, wenn man im Jahre 1947 ein größeres Spiegelteleskop bauen wollte. Zunächst
erstanden wir von einem älteren Liebhaberastronomen in Schwerin,
der seine Optiken selbst zu schleifen pflegte, einen sechszölligen
Parabolspiegel aus schwarzem Glas und mit einer Brennweite von 213 Zentimetern
sowie ein rechtwinkliges Prisma. Der Kaufpreis dürfte etwa drei
Pfund Bohnenkaffee und vielleicht auch einige Schachteln »Chesterfield«
betragen haben. Dazu bekamen wir ein Buch geschenkt, in dem der Bau
von Fernrohren und Montierungen fast nur aus Holz beschrieben
wurde. Das war zwar gut und schön, aber was nützte es, wenn
man weder Bretter noch das richtige Werkzeug besaß.
April 1948. Als Pennäler mit dem Spiegelteleskop, noch in der Holzversion, im Garten hinter unserem Haus. Am oberen Ende des Tubus ist das Okular zu erkennen, ein Handmikroskop ohne Objektiv, darunter der hölzerne Sucher mit der Optik aus Fernrohr Nummer 1 sowie ein kleines, ausziehbares Handfernrohr. Eines der größten Probleme war die Beschaffung und Montage eines passenden hier von mir verdeckten Gegengewichts gewesen. Zum Beobachten hoch am Himmel stehender Gestirne musste man auf eine Trittleiter steigen. Partielle Sonnenfinsternis und Astronomie-AG Die Sonnenfinsternis am 28. April 1949 war die erste in Rostock sichtbare Finsternis, seit wir uns mit Astronomie beschäftigten. Sie fand natürlich am Vormittag eines Schultages statt, etwa von 8.30 Uhr bis 10.20 Uhr MESZ. Einen ganzen Vormittag den Unterricht zu schwänzen war zu riskant, also musste eine andere Lösung gefunden werden, um die Finsternis beobachten und fotografieren zu können. Wir, das waren einige Klassenkameraden und ich, durften mein Spiegelteleskop an diesem Tag auf dem Schulhof aufstellen und wurden bis zum Ende des Abbaues vom Unterricht befreit. Der Rest der Klasse bekam für die Dauer der Finsternis frei. Zuvor musste das Fernrohr noch für fotografische Aufnahmen umgerüstet werden. Dazu sägten wir eine passende Öffnung in den Tubus und befestigten außen die Halterung für die von einem alten Fotoapparat meiner Eltern stammenden Kassetten für Fotoplatten 9x12 Zentimeter, innen die Führungsschienen für einen Schlitzverschluss. Der wurde durch eine alte Reißschiene, in die wir einen etwa fünf Millimeter breiten Spalt gesägt hatten, und ein Gummiband realisiert. Nach dem Spannen durch teilweises Herausziehen der Schiene aus dem Tubus sorgte ein kleiner Hebel, der in eine Kerbe der Reißschiene eingriff, für die Arretierung. Die Dauer der Belichtung, die durch leichten Druck auf den Hebel ausgelöst wurde, schätzten wir auf etwa 1/500 Sekunde. Wir glaubten, für die geplanten Sonnenaufnahmen sei es vorteilhaft, dass der Spiegel immer noch nicht versilbert war. Im Fotohandel beschafften wir uns möglichst unempfindliche Repro-Platten. Noch hatte ich selbst keine Ahnung von der Fotografie, und erst recht nicht vom Entwickeln der Platten. Ich erinnere mich, dass ich mir unter einem Entwickler ein Gerät vorstellte. Aber ein Mitschüler, der in der Foto-AG war, erklärte sich bereit, die Platten in der schuleigenen Dunkelkammer in die Kassetten zu legen und jede so schnell wie möglich zu entwickeln. Am Tage vor dem großen Ereignis brachte ich dann mit einem anderen Mitschüler, der schon einen Führerschein besaß und die Gelegenheit hatte, einen alten Kleintransporter zu chartern, das Fernrohr zur Schule. Am Tag der Finsternis trafen wir uns noch vor Sonnenaufgang auf dem Schulhof zum Aufstellen des Fernrohres. Das Fokussieren mit Hilfe einer Mattscheibe durch Verschieben des Prismas parallel zur Fernrohrachse funktionierte problemlos. Rechtzeitig vor Beginn der Finsternis wurde die erste Platte belichtet und entwickelt, und unser Fotograf verkündete: »Die Belichtungszeit ist genau richtig, die Sonne ist gestochen scharf.« Ich war erleichtert, war es doch meine erste Aufnahme mit einem Fernrohr gewesen. Eines
der drei erhalten gebliebenen Fotos von der partiellen Sonnenfinsternis
am 28. April 1949, aufgenommen auf dem Schulhof der Goethe-Oberschule
in Rostock. Das Bild entstand etwa zur Zeit der maximalen Verfinsterung.
Die Finsternisbilder waren die ersten, mit meinem Fernrohr aufgenommenen
Fotos. Die Punkte sind keine Sonnenflecken, sondern Entwicklungsmängel.
Der große Refraktor (...) Die Holzräder verdankten wir unserer im März 1949 geborenen Schwester. Noch am selben Tag, an dem sie vom Babykorb ins Kinderbett »umstieg«, beschlagnahmten wir die Babykorbräder. Die Rillen für die ursprüngliche Hartgummibereifung waren ideal für die Führung der Treibriemen. Das wiederum waren lederne Schuhbänder von Soldaten-Schnürstiefeln. Der
Refraktor im Märzenschnee 1950. Unsere Schwester Ulrike staunt
über das, was ihre Brüder mit den Rädern ihres Babykorbes
gemacht haben. Davon
konnten wir damals nur träumen: Die Schulsternwarte Ab in den Westen aber wie? Da es nach der politischen Prüfung in Rostock ziemlich sicher war, dass ich in der DDR höchstens noch bis April 1952 würde studieren können, war ich schon Mitte August 1951, kurz bevor ich die Genehmigung zum Wechsel an die Uni Jena erhielt, nach Berlin gereist, um mich an der Freien Universität in Westberlin um einen Studienplatz zu bewerben, wo allerdings Physik wieder Hauptfach gewesen wäre. Zwar war die Chance, an der FU zugelassen zu werden, wegen des großen Zustroms aus der DDR recht gering, aber den Versuch wollte ich doch gemacht haben. Während im Ostteil Berlins die kommunistischen Weltjugendfestspiele mit gewaltigem Aufwand und Zehntausenden Teilnehmern aus aller Welt zelebriert wurden, füllte ich im Westteil der Stadt lange Fragebögen aus mit dem Ziel, im kommenden Jahr die DDR für immer zu verlassen nicht nur Fragebögen der FU, sondern auch des amerikanischen Generalkonsulats. Als gebürtiger Amerikaner musste ich nämlich vor Vollendung meines 21. Lebensjahres in einem US-Konsulat einen entsprechenden Antrag gestellt haben, falls ich in Zukunft neben der deutschen auch die US-Staatsbürgerschaft beanspruchen wollte. Auf Anraten meiner Eltern hatte ich mich für die Zweistaatlichkeit entschieden. In beiden Fällen wurde eine Westberliner Adresse vereinbart, an die die Entscheide geschickt werden sollten, denn Post von der FU und erst recht von einer amerikanischen Behörde wäre natürlich höchstverdächtig gewesen, hätte sogar einige Jahre Haft bedeuten können. Auch musste ich damit rechnen, beim Betreten oder Verlassen der FU oder des Konsulats beobachtet und fotografiert zu werden, so wie es anderen Besuchern passiert war. (...) Nachdem ich eines Tages den Bescheid der FU vorgefunden hatte, dass ich nicht zugelassen sei, schrieb ich an drei Universitäten in Westdeutschland, von denen ich wusste, dass dort Astronomie gelehrt wurde: München, Göttingen und Heidelberg. Dabei bat ich um Informationsmaterial über die Voraussetzungen für die Zulassung zum Studium, die Bedingungen für ein Stipendium und die Aussichten, in einem Studentenwohnheim einen Platz zu bekommen. Mitte März, nach dem Kolloquium in Potsdam, das ich natürlich für einen Berlin-Besuch genutzt hatte, war von jeder der drei Hochschulen die Antwort eingegangen. Aus München und Göttingen jeweils ein mehrseitiges, umständlich formuliertes Schreiben. Neben etlichen Wenn und Aber wurden ein mehrwöchiger Aufenthalt in einem Flüchtlingsauffanglager sowie eine Wiederholung beziehungsweise Ergänzung des Abiturs verlangt. Aus Heidelberg dagegen war ein kurzes, handschriftlich ausgefülltes DIN-A5-Formular gekommen mit der Mitteilung, dass ich hiermit ab Sommersemester 1952 zum Studium an der Naturwissenschaftlich-mathematischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg zugelassen sei. Stempel und Unterschrift. Damit stand fest, wo ich mein Studium fortsetzen würde. Offen war nur noch die Frage, auf welchem Weg ich nach Heidelberg gelangen würde. In Betracht kamen zwei Orte, in deren Nähe ich leicht gelangen konnte, ohne mich fluchtverdächtig zu machen: die Sonneberger Sternwarte nahe der thüringisch-bayerischen Grenze oder der Bauernhof meines Onkels wenige Kilometer östlich von Lübeck. Der Übergang dort würde allerdings eine feuchte Angelegenheit werden, denn ich wollte nachts die Pötenitzer Wiek von Pötenitz nach Travemünde durchschwimmen. Auf die Idee, mich in Westberlin in einem Flüchtlingslager zu melden, kam ich nicht, wahrscheinlich war mir diese Möglichkeit nicht bekannt. Die endgültige Wahl wollte ich erst im letzten Moment treffen, sicher würde sie auch vom Wetter abhängig sein. (...) Zunächst ging die Reise noch einmal nach Westberlin. Das hatte zwei Gründe: Erstens wollte ich dort bei Bekannten alle wichtigen Papiere und Studienunterlagen einschließlich Lehrbücher deponieren, damit sie zu gegebener Zeit nachgesandt werden könnten, und zweitens wollte ich das amerikanische Konsulat über mein Vorhaben informieren und darum bitten, den Bescheid betreffs US-Staatsbürgerschaft an das Konsulat in Frankfurt/Main weiterzuleiten, sobald er aus Washington eingegangen sei. Beim Besuch im Konsulat wurde ich mit der Mitteilung konfrontiert, dass der Bescheid einige Tage zuvor eingegangen und mein Antrag genehmigt worden sei. Einige Formalitäten waren noch zu erledigen, dann kam es zu der unerwarteten, feierlichen Zeremonie: Im Amtszimmer des Generalkonsuls wurde ich unter einer amerikanischen Flagge auf die amerikanische Verfassung vereidigt und bekam meinen US-Ausweis, »Card of Identity«, ausgehändigt. Bei der Verabschiedung fiel dann noch wie nebenbei die scheinbar belanglose Frage: »Wie wollen Sie eigentlich nach Heidelberg kommen?« Als sei es die größte Selbstverständlichkeit der Welt, verriet ich meine Pläne: entweder durch die Wälder bei Sonneberg oder durch das Wasser bei Lübeck. Mein Gegenüber wurde zusehends nachdenklich und empfahl mir nach kurzer Pause dann eine andere, günstigere Grenzüberquerung: Als US-Bürger könnte ich einen von den Russen nicht kontrollierten US-Militärzug von Berlin-Lichterfelde nach Frankfurt/Main unentgeltlich nutzen. Die nächste Möglichkeit bestehe in der Nacht vom 29. zum 30. April. Ich solle mir am Vormittag des 29. im Konsulat die nötigen Reisepapiere abholen. Vermutlich atmete ich damals erst einmal tief durch, bevor ich die unerwartete Wendung in aller Konsequenz begriff. Ich würde völlig risikolos die DDR verlassen können. (...) Die aber
kam eher als gedacht. Am Sonnabend, dem 26. April, kehrte mein jüngerer
Bruder mit einer Hiobsbotschaft von der Schule heim. Unterwegs sei ihm
Herr R. begegnet und der habe ihn gefragt, ob ich denn nicht mehr in
Jena studieren würde. Für uns Anlass genug, dass ich sofort
zu meiner Reise aufbrach. In Begleitung meiner Mutter ging ich sicherheitshalber
nicht wie sonst zum Hauptbahnhof, sondern zum nächstgelegenen ländlichen
Haltepunkt, etwa eine Stunde Fußweg durch Wald und zwischen Feldern.
Meine Mutter fuhr noch bis Schwerin mit, wo wir bei einer ihrer Freundinnen
übernachteten. Werkstudent in Heidelberg Am 30. April 1952, um 12.45 Uhr, kam ich mit dem Zug aus Frankfurt/Main im ehemaligen, längst verschwundenen Heidelberger Hauptbahnhof an. In meiner Aktentasche hatte ich die nötigsten Utensilien und im Geldbeutel etwa 60 DM West, die ich am Tag zuvor in einer Westberliner Wechselstube für mein ganzes Vermögen von rund 250 Ostmark erhalten hatte. Ein Polizist wies mir den Weg zur Universität, die ich gegen 13 Uhr erreichte. Das Passbild in meinem ersten westdeutschen Personalausweis, aufgenommen im Mai 1952. Nach achtmonatiger Mensa-Kost in Jena und den ersten »Hungerdiät«-Tagen in Heidelberg war ich recht hager. Das änderte sich aber schon bald. Ich
erwischte gerade noch die buchstäblich letzte Person, die vor dem
bevorstehenden Mai-Feiertag das Gebäude, die so genannte Alte Universität,
verließ. Ihr erläuterte ich meine Situation und sie empfahl
mir, mich an das Collegium Academicum, ein nahe gelegenes Studentenwohnheim,
zu wenden. Der
offenbar blinde Pförtner der Sternwarte meldete mich telefonisch
bei Professor Kienle an und beschrieb mir den Weg zum Direktorenwohnhaus.
Die junge Frau, die mir öffnete, musste eine Kienle-Tochter sein,
denn »Paps, der Student aus Jena ist da« schallte es durch
die Wohnung. Prof.
Dr. Hans Kienle (18951975), von Mai 1953 bis zum Ende meiner Assistentenzeit
1962 mein Chef und Geldgeber. Die Sektparty nach seiner Wahl in die
Friedensklasse des Ordens »Pour le mérite« im Jahre
1960 habe ich noch gut in Erinnerung. Inhalt »Sterne über Ost und West« Vorwort 6 Kindheit
und Jugend in der NS-Zeit Kriegsende
und Nachkriegszeit Pennäler-Astronomie Ost-westliches
Astronomiestudium Glossar 118
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