Getäuscht und verraten.
Jugend in Deutschland 1933-1939
47
Geschichten und Berichte von Zeitzeugen
320 Seiten mit vielen Abbildungen,
Chronologie, Ortsregister, gebunden.
Zeitgut Verlag, Reihe ZEITGUT, Band 16
ISBN
3-933336-07-4, EUR 12,90
So unterschiedlich
die 38 Erinnerungen dieses Buches auch sind, gemeinsam ist ihnen, daß
sie einen unverstellten Blick in den Alltag einer Zeit bieten, die uns
immer fremder zu werden droht. Deutschland vor knapp siebzig Jahren: Ein
Land voll Rassenhaß, Willkür und Gewalt gegen Andersdenkende.
Die Nazis nutzen geschickt die Unzufriedenheit und die Gefühle der
Aussichtslosigkeit.
"Vater war, wie viele andere auch, schon lange ohne feste Arbeit",
schreibt Hans Östreich. "Er erhielt Wohlfahrtsunterstützung.
Das war zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel." Die Machtübernahme
durch die Nationalsozialisten interessiert den 13-jährigen nicht
sonderlich. "Mich beschäftigte am meisten, wie ich nach meiner
Schulentlassung eine kaufmännische Lehrstelle finden könnte",
erinnert er sich. Das Kaufhaus Leonhard Tietz in Hanau, wo er seine Ausbildung
beginnt, wird 1933 über Nacht "arisiert", und in "Westdeutsche
Kaufhof AG" umbenannt. Juden werden aus leitenden Stellen entfernt.
Der Kampf, den die Nationalsozialisten den Juden angesagt haben, wird
bitterer Ernst.
Doch nicht nur die Juden werden Opfer des Systems. Magda Riedel-Zehlke
erzählt die Geschichte ihres Bruders Hansi, der wegen einer Hirnhautentzündung
geistig behindert ist. Das neue "Gesetz zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses" zwingt die Eltern, der Sterilisierung zuzustimmen. Im
Mai 1934 wird der Junge zur Beobachtung in die psychiatrische Anstalt
in Schwerin eingewiesen. Während der Schulferien darf Hansi nach
Hause. Der behandelnde Arzt rät dem Vater, seinen Sohn nicht wieder
in die Anstalt zurückzuschicken. Dieser Hinweis rettet Hansi das
Leben. Zwei andere behinderte Kinder aus der Nachbarschaft sterben kurz
darauf in dem Krankenhaus - angeblich an Lungenentzündung.
Erschreckend hautnah ist der Bericht von Gertrud-Karola Wolff. Als Halbjüdin
erlebt sie in Stuttgart inmitten gaffender Passanten den Tag nach der
Reichskristallnacht als schauriges Schauspiel.
Wolfgang Wüstefeld schildert seinen Rauswurf aus dem Gymnasium in
Frankfurt an der Oder. Er hatte sich geweigert, der Hitler-Jugend beizutreten
und beginnt nun eine Maurerlehre.
Doch die meisten Jugendlichen empfinden solche Zweifel nicht und sind
bald begeistert dabei. "Für uns war die Welt in Ordnung",
erinnert sich Annemarie Frisch. "Marschmusik, singende junge Menschen,
lachende Gesichter überall." Sechs Jahre glaubt sie an eine
friedliche Entwicklung für Deutschland. Bei Kriegsbeginn 1939 hofft
die Mehrheit noch, in ein paar Wochen würde alles vorbei sein. Es
kommt ganz anders ...
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