Kurzbeschreibung
Leseproben:
»Also packten wir es an«
Elisabeth
Dörffel: Kinder suchen ihre Eltern
Lucie
Spogat: Die falsche Marzipantorte
Anneliese Albrecht: Kahnsuppe
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Elisabeth
Dörffel hilft im Januar 1946 bei der DEFA-Produktion "Augenzeuge"
mit. Der "Augenzeuge" war eine aktuelle Wochenschau, die sich
unter anderem der Menschen annahm, die ihre Angehörigen suchten.
Ihre Aufgabe war die Durchführung der Suchaktion, in der Kindern
ihre Eltern suchten oder Eltern ihre Kinder.
Kinder
suchen ihre Eltern (Auszug)
von Elisabeth Dörffel
Einmal
besuchten wir den Zoologischen Garten in Berlin. Eine lange Schlange
von Kindern strömte, begleitet von Pflegeeltern oder Kinderheimpflegerinnen,
durch das Haupttor. Wir hatten sie eingeladen, um hier die Außenaufnahmen
für unsere Bilderreihe Kinder suchen ihre Eltern zu
machen. Für viele Kinder war es der erste Besuch in einem Zoo,
und oft erschallte lautes Lachen zwischen den Aufnahmen. Die Kinder
waren entspannter, gelöster als im Atelier. Den 13-Jährigen
Werner Kolmer, der auf der Flucht aus Danzig seine Mutter und vier Geschwister
verloren hatte, nahmen wir als ersten auf. Faul lümmelten im Hintergrund
die Löwen im Gras herum, während Werner mit einem Schildchen
mit seinem Namen vor der Brust gefilmt wurde. Hoffentlich sieht ihn
seine Mutter bald irgendwo im Kino, dies war mein größter
Wunsch bei jedem gefilmten Kind.
Bubi
Vollandt vor der Kamera im Berliner Zoo. Links im Bild stehe ich. Unten
im Bild das Motto für den Vorspann des Augenzeugen.
Das
nächste Motiv sind schwarze Schafe. Ein kleiner Dreijähriger
wird hier vor die Linse genommen. Ganz ängstlich blickt er in die
Kamera, noch ängstlicher horcht er auf das Surren der Kamera, aber
als das Mutterschaf mit einem lauten Määh die
vielen Kinder begrüßt, muß er doch lächeln. Klein
Helga krault dem Pony den Kopf und ist nicht zu bewegen, in die Kamera
zu sehen. So lasse ich den Hampelmann zappeln, den ich um meinen Hals
hängen habe, und schon muß sie lächeln.
(...)
Wieder
einmal wurde gefilmt und Kinder im Augenzeugen gezeigt.
Diesmal waren auch die Brüder Reinhard und Adam Kreb dabei. Sie
erzählten ihre Erlebnisse. Im Winter 1944/45 waren sie auf dem
Treck und verloren erst ihren Vater und eine ältere Schwester aus
den Augen, wenig später auch die Mutter und die drei Schwestern.
Nach einer abenteuerlichen Flucht mit einem deutschen Soldaten kamen
die beiden Jungen im Frühjahr 1945 nach Teltow. Von dort wurden
sie von einem Amerikaner mit nach Berlin genommen und in einem Kinderheim
abgegeben.
Ein Bekannter von Herrn Kreb sah die Kinder in der Wochenschau und meldete
die freudige Nachricht den Eltern, die inzwischen in Bayern eine neue
Heimat gefunden hatten. Der Vater fuhr sofort nach Berlin und kam zu
mir ins Büro. Schnell wurden die Unterlagen und die Karteikarte
mit Bildchen herausgesucht, und wir fuhren gemeinsam ins Kinderheim.
Es war das Johannisstift in West-Berlin, wo der Vater überglücklich
seine Kinder in die Arme schließen konnte. Gerade war ein Reporter
von der Picture Post aus London in Berlin, der dieses Wiedersehen
fotografierte, und so erschienen am 7. Juni 1947 Bilder und Artikel
in dieser Zeitschrift. Auch der Observer aus Amerika machte
am 8. November 1946 Fotos und Reportagen für seine Zeitung.
Erstes Wiedersehen. Vater Johannes Kreb mit seinen beiden Söhnen
Reinhard und Adam im Berliner Johannesstift.
Vater Kreb schrieb mir damals in seinem Dankesbrief:
Es tut mir furchtbar leid, daß ich keine Zeit mehr hatte, Sie
zu besuchen und Abschied zu nehmen. Ich hatte es sehr eilig, werde aber
an Sie denken, solange ich lebe. Für Ihre Mühe bin ich Ihnen
unendlich viel Dank schuldig, denn nun bin ich wieder ein glücklicher
Mensch, seit ich alle meine Kinder bei mir habe. Meine Frau ist auch
ganz anders geworden. Als wir durch das Haustor traten, stimmten wir,
die Jungen und ich, das Lied an: ,In der Heimat, in der Heimat ...
Mit Freudentränen kamen alle herausgestürmt, dann wurde das
Wiedersehen gefeiert.
Dieses Wiederfinden
war eines der ergreifendsten und schönsten Erlebnisse für
mich.
[Neuruppin,
Ostprignitz, Brandenburg;
1945]
Die falsche Marzipantorte
von Lucie Spogat
Mein jüngster
Bruder war im Dezember 1945 endlich aus amerikanischer Gefangenschaft
nach Hause gekommen. Er hatte den grausamen Krieg überlebt. Das
war ein Anlaß zum Feiern. Eine Feier, aber womit?
Was es auf Lebensmittelkarten zu kaufen gab, reichte nicht zum Sattwerden,
geschweige zu einer Feier. Wir wollten aber wenigstens einmal richtig
zusammen Kaffee trinken und Kuchen dazu essen. Ich war 18 Jahre alt
und hatte einen Heißhunger darauf. Richtigen Bohnenkaffee gab
es schon lange nicht mehr, bloß Muckefuck.
Für
einen Kuchen müßten wir eben sparen! Das sind wir unserem
Jüngsten schon schuldig, sagte unsere Mutter.
Das war Mutters Wort. Und was sie sich vornahm, das wurde auch durchgesetzt.
Nun
hängt sie uns den Brotkorb noch höher, meuterte ich
insgeheim. Damit ein Kuchen gebacken werden konnte, mußten die
Zutaten vom Munde abgespart werden.*)
Meine große Schwester unterbreitete uns nach dem Motto Not
macht erfinderisch ein prima neues Rezept für eine falsche
Marzipantorte.
Man nehme:
500 gr Kartoffelbrei,
200 gr Grieß,
150 gr Haferflocken,
1 Eßlöffel Öl, besser noch 125 gr Margarine,
300 gr Zucker oder eine entsprechende Menge Süßstoff,
ein Backpulver oder Natron,
Marzipan- oder Mandelaroma (ab uns zu gab es das
noch).
Alle Zutaten, so
riet meine Schwester, seien mit etwas Wasser zu binden, und der Kuchen
mußte bei mittlerer Hitze 45 Minuten im Ofen gebacken werden.
Anschließend sollte man den restlichen Kartoffelbrei süßen,
mit Aroma abschmecken, dann dieses Marzipan über den
Tortenboden streichen und mit zuvor gerösteten groben Haferflocken
garnieren.
Die Torte nach diesem Rezept wurde tatsächlich Wirklichkeit! Sie
sah lecker aus. Uns lief förmlich das Wasser im Munde zusammen.
In Erwartung des bevorstehenden Schmauses fing der Magen an zu knurren.
Es war soweit, die Feier konnte steigen. Sogar die besten Tassen standen
auf dem Tisch, in der Mitte leuchtend und duftend die Heimkehrertorte
. Wir alle waren in ausgezeichneter Festtagsstimmung. Doch plötzlich
klopfte es laut an unsere Fensterscheibe. Draußen stand Onkel
Paul mit seiner Tochter Erika.
Um Gottes willen, die haben uns gerade noch gefehlt!, lamentierte
unsere Mutter. Los, den Tisch wieder abräumen schnell,
schnell, für die Torte haben wir tagelang gedarbt, jetzt wollen
wir sie auch selber essen und nicht mit Hunz und Kunz teilen.
Wie der Blitz räumten wir die Tassen wieder zurück in den
Schrank. Aber da standen auch schon die Gäste im Flur. Wohin in
der Eile mit der Torte?
Egal,
unter die Couch damit, rief mein Bruder.
Warum seid ihr nicht schon etwas früher gekommen? Wir sind
gerade fertig mit dem Kaffeetrinken, erklärte meine Mutter,
ohne mit der Wimper zu zucken. Bei uns gab es Marzipantorte, extra
gebacken, weil unser Junge wieder da ist!
Du hast vielleicht eine Art, einem das Maul wäßrig
zu machen, bedauerte der Onkel, ehe er unseren Heimkehrer herzlich
begrüßte.
Nicht lang darauf, mitten in der angeregten Unterhaltung, rumorte etwas
unter der Couch. Was war das?
Wo ist unsere Katze? wollte jemand wissen.
Und Mutter rief aufgeregt: Verflixt, die Katze!
Uns durchzuckte es! Wir riefen aufgeregt: Mulle, Mulle
Mimmi, Mimmi!
Als Antwort hörten wir ein genießerisches Miau!
Es kam unmißverständlich unter der Couch hervor. Wir hörten
ein feines Schmatzen und Schnurren.
Dieses verflixte Katzenvieh frißt jetzt unsere schöne Torte!
Unsere Torte, auf die wir uns seit Tagen schon gefreut haben, dachten
wir.
Wir riefen und lockten unsere Mimmi, aber die ließ sich überhaupt
nicht stören. Sie fraß und fraß.
Dem Vieh müßte man den Hals umdrehen!, zischte
mein Bruder.
Warum seid ihr bloß alle so schrecklich nervös? Ist
was?, wollte meine Cousine wissen.
Na, was soll schon sein! Die Katze hat nichts unter der Couch
zu suchen, entgegnete unsere Mutter, und sie hatte alle Mühe,
ihre Aufregung zu verbergen.
Über zwei Stunden blieb der Besuch, und wir saßen wie auf
Kohlen. Uns schien die Zeit wie eine Ewigkeit. Eine richtige Tortur.
Als der Besuch endlich gegangen war, holten wir den Teller, auf dem
die kostbare Torte gewesen war, hervor. Er war ziemlich weit unter die
Couch gerutscht. Unsere Mutter jammerte als erste: Ach herrje,
unsere schöne Marzipantorte, alles im Eimer! Du verflixtes Katzenvieh!
Gab es von der Torte noch etwas zu retten?
Nein, nichts, aber auch wirklich gar nichts! Die Katze hatte alles zermanscht.
Ich hätte ihr am liebsten das Fell gegerbt.
Mein Bruder war außer sich und griff nach einem Messer. Dich
muß man schlachten und in die Pfanne hauen.
Doch unser Vater brachte ihn und uns alle wieder zur Raison: Die
Katze hat keine Schuld. Was auf der Erde oder auf dem Fußboden
steht, gehört der Katze, das ist nun mal ein ungeschriebenes Gesetz.
Wehe, ihr tut dem Tier etwas zuleide, dann bekommt ihr es mit mir zu
tun!
Natürlich taten wir der Mimmi nichts. Sie kannte es nicht anders.
Ihr Futter stand ja immer auf dem Fußboden. Sie hatte sich nun
satt und rund gefressen und legte sich auf die Couch, um ihr Verdauungsschläfchen
zu halten.
Wenn ich heute nach
so vielen Jahren an die falsche Marzipantorte denke, muß ich unwillkürlich
schmunzeln.
Und wenn einmal Besuch kommt, passiert es schon, daß eine Marzipantorte,
natürlich keine falsche, auf dem Tisch steht. Vor der Katze brauche
ich keine Angst zu haben, ich habe keine mehr. Aber damals hatten wir
alle so viel Hunger im Bauch!
*) Auf die sogenannte
Hungerkarte gab es täglich 220 gr Brot und 300 gr Kartoffeln, dekadenweise
aller 10 Tage 30 gr Fett, 30 gr Zucker, 30 gr Nährmittel,
30 gr Fleisch, 30 gr Marmelade.
[nach
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