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Dieter Peeters
Vermißt in Stalingrad
Als einfacher Soldat überlebte ich Kessel und Todeslager 1941-1949

Broschiert, 96 Seiten, mit Fotos, Karten und Dokumenten. 12. Auflage
Sammlung der Zeitzeugen (28),
Zeitgut Verlag, Berlin.
12,80 EUR, ISBN 3-933336-77-5.

Kurzbeschreibung

Am 2. Februar 1943 endet die Schlacht von Stalingrad. Kein anderer Ort ist seither so fest mit dem Zweiten Weltkrieg verknüpft. Die Katastrophe an der Wolga gilt als der Wendepunkt des Krieges im Osten.

Dieter Peeters ist einer der letzten Überlebenden von Stalingrad. Er schildert die Wochen in der Hölle des Kessels aus der Sicht eines einfachen Soldaten. Nach seiner Gefangennahme im Januar 1943 gilt er wie Zehntausende andere als »vermißt in Stalingrad«. Er durchlebt das Grauen in einem Todeslager und sechs lange Jahre in einem Straflager am Ural. 1949 kehrt er heim nach Deutschland. Seine Erinnerungen, ergreifend geschrieben, sind ein erschütterndes Dokument des Leidens.

Autor

Dieter Peeters, geboren 1921 in Duisburg, Kindheit und Jugend in Düsseldorf. Humanistisches Gymnasium, Ausbildung zum Edelstahlkaufmann, wegen Einberufung zum Wehrdienst 1940 jedoch vorzeitig abgebrochen. Ab Juni 1941 Einsatz an der Ostfront, im November 1942 Einkesselung in Stalingrad. Gerät im Januar 1943 in russische Gefangenschaft, aus der er erst im April 1949 wieder zurückgekehrt. Nach Heimkehr Beendigung der Ausbildung und Aufstieg zum Verkaufsleiter in einem bedeutenden Edelstahlunternehmen. Seit 1983 im Ruhestand. Dieter Peeters lebt heute in Düsseldorf.

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Leseproben aus »Vermißt in Stalingrad«


Vorwort

Dieses Buch erzählt von meinen Erlebnissen als junger deutscher Soldat auf dem langen Marsch nach Stalingrad, während der Monate im Kessel und in den darauffolgenden Jahren meiner russischen Gefangenschaft. Ich erlebte die Hölle von Stalingrad.

Die langen Jahre meiner Gefangenschaft sind für mich von besonderer Bedeutung. Jahrzehntelang habe ich meine Erlebnisse in Beketowka, einem der berüchtigtsten sowjetischen Kriegsgefangenenlager, verdrängt und darüber geschwiegen. Einerseits wollte ich den Angehörigen der vielen vermißten Soldaten die erschütternde Wahrheit über die dortigen Zustände ersparen. Andererseits befürchtete ich, man würde meiner Darstellung keinen Glauben schenken.
Im Januar 2003 jährte sich die Tragödie von Stalingrad zum sechzigsten Mal. In den Medien erschienen viele Beiträge über das Schicksal der deutschen Soldaten bis zur Auflösung des Kessels. Diese teilweise schonungslose Berichterstattung bewog mich als einen der wenigen heute noch lebenden Zeitzeugen dazu, über mein Leben und Leiden in Stalingrad und während der Gefangenschaft zu sprechen und zu schreiben.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß die menschenverachtenden Zustände im Todeslager Beketowka seitens des sowjetischen Regimes nicht beabsichtigt waren. Auch das sowjetische Militär und die Zivilbevölkerung hungerten, doch niemand war Herr der Lage.

Für viele mag ein Teil der hier gezeigten Fotos aus Stalingrad eine Zumutung sein. Erst im Januar 2005 stieß ich durch Zufall in einem privaten Archiv auf sie. Für mich war es eine, zuerst erschreckende, Begegnung mit meiner Vergangenheit. Doch inzwischen bin ich froh, daß es die Fotos gibt und ich sie noch einmal sehen konnte. Sie sind mir selbst und anderen Beweis, daß es diese Hölle wirklich gab.

Dieter Peeters
Düsseldorf im Januar 2005


Auf dem Vormarsch

Stalingrad-Mitte, 19. November 1942 – endlich hatte ich ihn in der Tasche: meinen Heimat-Urlaubsschein. Seit vielen Monaten hatte ich mich auf diesen Tag gefreut.

Anfang 1941, gerade 19 Jahre alt, war ich zusammen mit sechs weiteren Rheinländern nach Linz an der Donau eingezogen worden. Infolge der weiten Entfernung zu unseren Heimatorten bestand für uns – im Gegensatz zu den Rekruten aus Österreich – in den wenigen Monaten der Ausbildung keine Möglichkeit, Heimaturlaub zu nehmen. So kam es, daß wir im Sommer 1941 nach Rußland ausrückten, ohne unsere Familien während unserer Soldatenzeit jemals besucht zu haben.


In Rußland waren drei von uns der gleichen Kompanie zugeteilt worden. Sie bestand aus älteren, erfahrenen Soldaten, die am Frankreichfeldzug teilgenommen hatten. Wir stießen als Ersatz für gefallene Rekruten zu ihnen. Bereits in den ersten Monaten verlor ich die beiden Kameraden, mit denen ich ausgebildet worden war. Einer von ihnen wurde schwerverwundet in die Heimat gebracht, der andere fiel bald darauf. So blieb ich als einziger von uns Neulingen am Leben.
Da ich angeblich jünger wirkte, als ich war, wurde ich von allen in der Kompanie nur »Pimpf« gerufen. In schwierigen Situationen fühlten sich die Älteren für mich verantwortlich, was mir oft sehr geholfen hat. Fast alle meine Kameraden waren verheiratet und erhielten im Laufe des Jahres 1942 Heimaturlaub. Ich war erst mit den letzten an der Reihe. Mein Heimweh war groß, und ich sehnte mich danach, meine Familie nach fast zwei Jahren endlich wiederzusehen.

Doch als wir am Morgen des 20. November 1942 unseren Urlaub antreten wollten, erreichte uns die Meldung, daß eine allgemeine Urlaubssperre verhängt worden sei. Der Grund: Wir waren eingeschlossen. Damit entschied sich mein weiteres Schicksal. Noch heute stelle ich mir die Frage: Was wäre mit mir geschehen, wenn ich den Urlaub vor der Sperre hätte antreten können?

Wie konnte es zu dieser Situation kommen?
Frühling 1942: Im Süden der Ostfront hatte die Frühjahrsoffensive begonnen, und wir verließen unser Winterquartier am Fluß Mius. Ein eigenartiger Krieg begann. Die deutschen Panzereinheiten stießen schnell vor, aber die Russen zogen sich nicht geschlossen zurück. In dieser Zeit geschah es oft, daß in einem Dorf noch sowjetische Soldaten lagen, während benachbarte Dörfer bereits von uns besetzt worden waren.

Als Melder auf dem neuen Drahtesel, den ich im Frühsommer 1942 erhalten hatte. Endlich mußte ich meinen Dienst nicht mehr zu Fuß verrichten.

 

Mai 1942: Ich backe Kuchen. Einen Teil der Zutaten hatte mein Kamerad Peter von seinem Heimaturlaub mitgebracht.


Einmal hatten wir in einem russischen Bauernhaus mit den typischen Lehmwänden übernachtet und waren morgens gerade im Begriff aufzubrechen. Meine Kameraden hatten die Hütte schon verlassen, nur ich kniete noch am Boden vor der Fensterluke und kämpfte mit dem Riemen meines Rucksacks, der sich nicht schließen ließ. Der Zugführer, der direkt vor dem Fenster stand und an die Scheibe klopfte, rief mir von draußen zu: »Beeilung, komm endlich heraus, Pimpf!«
In diesem Augenblick schlug das Geschoß eines Granatwerfers in unmittelbarer Nähe des Hauses ein. Ich warf mich auf den Boden, aber es blieb bei diesem einzelnen Schuß, der ungezielt auf unser Dorf abgefeuert worden war.

Draußen herrschte zuerst lautes Geschrei – dann lähmende Stille. Ich lief hinaus und sah, daß mehrere Kameraden tödlich getroffen worden waren.

Vor dem Fenster lag mein Zugführer, der mich gerade noch gerufen hatte. Diesen Anblick werde ich nie vergessen. Ein großer Splitter hatte seinen Kopf getroffen und steckte noch in seinem Körper. Nur zwei Meter entfernt, nur durch eine Lehmwand von ihm getrennt, hatte ich lediglich ein paar Glassplitter abbekommen.

Wir fertigten Holzkreuze an, die ich mit den Namen der Gefallenen beschriftete. An diesem Tag verlor ich nicht nur meinen Vorgesetzten, sondern in ihm auch einen väterlichen Freund, der mir seit meinen ersten Tagen in Rußland in gefährlichen Momenten beigestanden und mir mehrmals das Leben gerettet hatte.

Unzählige Kameraden ließen auf dem Vormarsch nach Stalingrad ihr Leben und wurden an Ort und Stelle begraben.

Der 23. Mai l942 war ein schöner Frühlingstag. Ich erinnere mich gut – es war der Geburtstag meiner Mutter. Unsere Einheit befand sich wieder auf dem Vormarsch und folgte den vorauseilenden Panzereinheiten, wobei wir meistens etwa zehn Kilometer pro Stunde zurücklegten. Toni, der Bursche unseres Kompanieführers, war wie ich als Melder eingesetzt worden. Tags zuvor hatten wir jeweils ein neues Fahrrad erhalten – endlich blieb uns das schmerzhafte Laufen erspart! Allerdings hatte ich immer ein ungutes Gefühl, wenn ich bei der Ausführung von Befehlen dazu gezwungen war, an den schwitzenden Kameraden vorbeizufahren.

Im späten Frühjahr 1942 auf dem Vormarsch zur Wolga. Im Hintergrund ist eines der typischen Bauernhäuser dieser Gegend zu sehen.


An diesem Vormittag gesellte sich Toni zu mir, und wir fuhren lange Zeit nebeneinander am Ende unserer Kompanie. Der Weg führte durch ein langgezogenes Tal – in dieser Gegend eine seltene Landschaftsform. Toni, der aus einem Bergdorf in Österreich stammte, erinnerte dieser Anblick an seine Heimat, und er begann, mir davon zu erzählen. Als er gerade eine Einladung für die Zeit nach dem Krieg ausgesprochen hatte, rief man den Befehl »Melder nach vorne« zu uns durch. Ich war an der Reihe und wollte schon losfahren, als Toni mich mit den Worten »Ich muß sowieso mal zum Alten« zurückhielt und losfuhr.

Zwei bis drei Minuten später flog von hinten ein russischer Tiefflieger auf unsere Marschkolonne zu. Wir warfen uns rechts und links des Weges ins Feld. An der Spitze der Kompanie fiel eine einzelne Bombe. Einige von uns wurden verwundet. Unser Kompanieführer und mein Freund Toni waren tödlich getroffen. Wieder versah ich zwei Holzkreuze mit den Namen der Gefallenen, und wieder hatte ich einen guten Kameraden und Freund verloren. Auf sein Kreuz schrieb ich: »Wir werden dich nicht vergessen.« (...)

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Inhalt
»
Vermißt in Stalingrad«

Vorwort 7
Auf dem Vormarsch 9
Eingekesselt 23
Karte des Kessels 26
Marsch in die Gefangenschaft 43
Das Todeslager von Beketowka 54
Im Lazarett 66
Waldarbeiter in Wolosniza 69
Am Ende meiner Kräfte 80
Heimkehr 83
Nachwort 90

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