Bild: zeitgut Buchcover
Die Geschichte von Wolfgang Absolon steht in dem Buch
Unsere Heimat - unsere Geschichten
Wenn Erinnerungen lebendig werden.
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Es begann mit einem Sack Erbsen

Papas Laden
1953 eröffnete der Vater von Wolfgang Absolon den Lebensmittelladen am Hoheellernweg 58 in Leer als Filiale. Im gleichen Haus bezog die Familie eine neue Wohnung. Es war ein neuerbautes „Hochhaus“ mit fünf Etagen.

Geschichte von Wolfgang Absolon (Ausschnitt)

Leer, Ostfriesland; 1958

Ein mutiger Schritt
Im Jahre 1958 unternahm mein Vater einen gewagten Schritt. Er hatte vorher von den großen Erfolgen der Selbstbedienungsläden in Amerika gehört. Auch in den Großstädten Deutschlands gab es schon die ersten derartigen Verkaufsstätten. Nun sollte der erste Selbstbedienungsladen in Leer entstehen, und zwar der von Kaufmann Absolon, meinem Vater. Fotograf Graalmann zog zu diesem Zeitpunkt in die Mühlenstraße, und mein Vater konnte dessen Räumlichkeiten im Hause übernehmen und sich so vergrößern. Mit dem Vermieter Nolte wurde vereinbart, das Haus umzubauen, wobei mein Vater die vollen Kosten übernehmen mußte. Über die gesamte Bauzeit hinweg hielt Vater einen Notverkauf in einem Nebenraum aufrecht. Es war ein Grundsatz meines Vaters, immer für seine Kunden da zu sein. In über vierzig Jahren hat die Firma Absolon keinen Tag Betriebsferien gemacht! Das heißt, an jedem gesetzlich zulässigem Verkaufstag hatten wir auch geöffnet.

Unter den größten Schwierigkeiten wurde der Laden also neu gestaltet. Tag für Tag ging es ein Stück weiter, und mein Vater freute sich über jeden Fortschritt bei den Bauarbeiten.
Endlich war es dann soweit: Der erste Selbstbedienungsladen in ganz Ostfriesland öffnete seine Türen. Hundertprozentig hatte mein Vater aber die neue Idee doch nicht übernommen. Seine Variante hieß Teil-SB. Er stellte sich das so vor: Fertige Produkte wie Dosen und Flaschen sollte der geneigte Kunde selbst aussuchen und zur Kasse bringen, während er für die überwiegend unverpackt angebotenen Waren, die erst noch abgewogen werden mußten, wie bisher am Verkaufstisch bedient werden würde.
Kurz und gut, dieses Konzept ging nicht auf. Die Kunden kauften weiterhin alles bei der Bedienung, und die Verkäuferinnen hatten lange Wege, weil sie auch jene Artikel holen mußten, die im SB-Bereich standen. Mein Vater hatte nicht mit der Mentalität der Ostfriesen gerechnet. Die waren erst Jahre später offen für Selbstbedienungsläden. Vater war diesmal seiner Zeit einige Jahre voraus, leider.

Aprilscherze und unfreiwillige Komik
Aus heutiger Sicht war der Personalbedarf riesig. Da nur wenig vorverpackt geliefert wurde, mußten fast alle Produkte erst gewogen und eingepackt werden. Außerdem war das Lohn- und Gehaltsgefüge eher bescheiden. So kann man sich jetzt kaum noch vorstellen, daß wir in diesem kleinen Laden etwa zehn Angestellte hatten. Und die Truppe war gut. Es wurde viel gelacht und die „älteren Mädchen“ hatten es oft faustdick hinter den Ohren. Die jüngeren Lehrlinge wurden häufig „Opfer“ von Streichen, die aber nie böse gemeint waren. Gern denke ich an einige Anekdoten zurück.
Mein Vater stellte grundsätzlich nur weibliches Personal ein. Dies galt auch für Lehrlinge. Die einzigen Ausnahmen waren ein junger Mann namens Udo, der einen Teil seiner Lehre in unserer Firma machte, und ich, denn ich absolvierte meine gesamte Lehrzeit im Laden meiner Eltern. Es gab jedoch noch eine weitere Ausnahme: Wir hatten zeitweise einen Laufjungen, der den Kunden die Waren brachte, aber auch von unseren Lieferanten welche abholte. An einem 1. April wurde er zur Firma Johannes de Vries geschickt, angeblich, um einen Teespitzenprüfer abzuholen. Die Leute von de Vries waren clever und hatten einen riesigen Karton mit Steinen vorbereitet. Der gute, arme Junge schleppte sich nun mit dem schweren Karton zu unserem Geschäft, wo er mit vielstimmigem „April, April!“ an das Datum erinnert wurde.
Leider hatte der Bursche diese Lektion nicht gut genug behalten. Ein Jahr darauf beauftragte ihn mein Vater, Storchenfett zu besorgen. Dies würde dringend zum Abschmieren der Kaffeemühle benötigt. Aus dem Ladenfenster von Vater und allen Mitarbeiterinnen beobachtet, zottelte der Junge los und ging zunächst zur Drogerie Mansholt, wo man ihn an Sobing, den Eisenwarenhändler, verwies. Der schaltete sofort und meinte, daß dies sicherlich beim Uhrmacher Hartwig zu bekommen sei, da es sich ja bei der Kaffeemaschine um Feinmechanik handele. Aber auch der konnte nicht weiterhelfen und schickte den Guten zur Löwenapotheke, denn da könnten nur Apotheker helfen.
Das Ganze geschah, wie gesagt, immer unter den wachsamen Augen Vaters und der Ladenbelegschaft, da sich alles in Sichtweite innerhalb der Brunnenstraße abspielte, in der unser Laden lag. Zu guter Letzt wurde der Arme wegen des Storchenfetts an Frau Bläumer, die stadtbekannte Hebamme, verwiesen. Da erst merkte er, daß er wieder einmal in den April geschickt worden war.
Auch in anderen Firmen wurden die Lehrjungen gern mit ähnlichen Nettigkeiten bedacht. So mußten die künftigen Maurer grundsätzlich die Gewichte für die Wasserwaagen besorgen, und die Tiefbauer im Straßenbau hatten den Bordsteinhobel zu holen.
Die Mitarbeiterinnen hatten Humor und die Arbeit machte Spaß. So wurden die Kunden teilweise mit Spitznamen tituliert. Eine Frau, die ziemlich traurig schaute, wurde nur „der Schloßhund“ genannt. Eine weitere Kundin hatte monatelang nach Sprengelkonfekt gefragt, und als wir dies nach viel Mühen endlich beschafft hatten, hat sie nichts davon gekauft. Logischerweise hieß diese Dame nur noch „Sprengelkonfekt“.
Die alte Frau Froese, Mutter von Erwin Froese, dem Kohlenhändler, wurde immer „Butter-Sanella“ genannt. Alte Leute hatten damals die Angewohnheit, Margarine als Butter zu bezeichnen. Richtige Butter wurde unterschieden, indem man sie „gute Butter“ nannte. So kam es, daß Frau Froese unseren Mädchen ihren Kaufwunsch nannte: „Ich hätte gern ein halbes Pfund Butter.“ Natürlich flitzte das Personal los, um die Ware zu holen; wenn sie dann fast wieder zurück waren, sagte die alte Dame „Sanella“ und es wurde klar, daß sie eigentlich Margarine wollte.
Eher unfreiwillig komisch waren mitunter unsere Kunden. Eine Kundin hatte den Namen „O Herr, hilf mir“ weg, weil sie dies laut im Laden ausrief, als sie auf einer Weintraube auf dem Boden ausrutschte. Es ist ihr glücklicherweise nichts passiert, aber die Bande hatte ihr diesen Spitznamen sofort verpaßt.

Foto Absolon
Die Eltern von Wolfgang Absolon, hinter dem Verkaufstresen, inmitten Ihrer Verkäuferinnen etwa 1955.
Kaufmann mit Leib und Seele
Meine Brüder Udo, Hartmut und ich halfen je nach Alter fleißig im Geschäft mit, vor allem im Lager, beispielsweise beim Abfüllen und Etikettieren. Wir drei wurden sicher öfter und mehr zu allen möglichen Arbeiten herangezogen als andere Kinder, was uns aber eher selbständiger gemacht hat, als daß es uns geschadet hätte.
Die Plakate und Preisschilder machte mein Vater grundsätzlich selbst. Dazu hatte er Plakatschrift gelernt, ähnlich der Kalligraphie. Es gab ein gelbliches Plakatpapier, eher ein Plakatkarton, auf dem mit Skriptol und Feder gezeichnet wurde. Anschließend wurde das fertige Schild zurechtgeschnitten. Dafür hatten wir eine Maschine mit Schlagmesser, wie sie auch die Fotografen nutzten und die den Rand gleich mit einem Wellenschnitt versah.

Da mein Vater überaus sparsam wirtschaftete, wollte er auch kein Obst und Gemüse wegwerfen. So mußte unsere Mutter immer alles Gemüse retten, indem sie es putzte und den Verderb ab- und herausschnitt. Die Reste, die noch gut waren, wurden dann gekocht. So gab es bei uns zum Mittag häufig das, was „weg mußte“. Angeschlagenes Obst hat mein Vater den ganzen Tag über verzehrt. Die schlechten Stellen pflegte er mit seinem Taschenmesser zu entfernen und das Gute wurde aufgegessen. Ich kenne keinen Menschen, der jemals soviel Obst verzehrt hat wie mein Vater.
Wenn meine Mutter Weißkohl kochte, den ich damals nicht mochte, freute sich mein Vater ganz besonders, weil er dies Gericht liebte. Aus Mutters rheinischem Sprachschatz wurde dann „Kappes“ gekocht. Mein Papa aß davon regelmäßig zuviel und kommentierte dies mit dem Satz: „Von Buskohl deiht mi’t Liev so seer, eetmin Lev keen Buskohl mehr“ – auf Hochdeutsch: „Von Weißkohl habe ich Bauchschmerzen (tut mir der Leib so weh), ich esse mein ganzes Leben keinen Weißkohl mehr“ –, was er aber alsbald vergessen hatte und beim nächsten Mal wieder genauso kräftig zulangte.
Meine Mutter war eine überaus fleißige und patente Frau. Neben der Führung der Filiale mußte sie natürlich auch den Haushalt und die Kindererziehung bewältigen. Zunächst hatte sie Unterstützung durch ein Hausmädchen, später machte sie dies allein. Solange ich klein war, kenne ich meine Mutter (wie auch Vater) nur als eine Frau im weißen Kittel. Trotz der vielen Arbeit hatte sie immer auch Zeit für uns Kinder.
Meta liebte es, die Tageskasse zu zählen und das Geld am nächsten Tag zur Bank zu bringen. Dazu wurde jeder Geldschein geglättet und in richtiger Anordnung übereinandergelegt, natürlich alle gleich ausgerichtet. Nicht etwa einmal Vorderseite nach oben und dann vielleicht eine Rückseite oder gar auf dem Kopf! Nein alle schön so, wie es sich gehört. Jeden Tag zur gleichen Zeit, um 11 Uhr, ging Meta dann damit zur Bank. Daß sie niemals überfallen wurde, grenzt schon fast an ein Wunder. Jeder Dieb hätte leichtes Spiel gehabt, aber in Leer war eben damals noch die Welt in Ordnung.

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