Leseprobe aus den Buch:
Buchcover Und plötzlich kam der Frieden
Fritz Thürnau
1939-1948, 128 Seiten

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Bildquelle: Fritz Thürnau
Hier sitze ich im Garten unseres Hauses und übe das Schreiben mit dem Griffel auf der Schiefertafel.
 
Bildquelle: Fritz Thürnau
Das Bild entstand 1948 zum Abschluss meiner Volksschulzeit mit Lehrer Liebrecht. Ich sitze in der untersten Reihe als zweiter von rechts. (Die 38 Mädchen der Klasse wurden auf einem anderen Foto festgehalten)


In der Volksschule Neuwerk

(heute Ortsteil von Mönchengladbach)
aus dem Buch „Und plötzlich kam der Frieden“ von Fritz Thürnau (gekürzte Fassung)

1944 wurde ich im Alter von sechs Jahren eingeschult. Im ersten Schuljahr unterrichtete uns Fräulein Neuenhofer, eine große, schlanke und elegante Frau. Sie war eine ungemein strenge Lehrerin, die uns aber im Gegensatz zu Fräulein Rasten, die meine Schwester Trude unterrichtete, bei Nachlässigkeiten oder Störungen nicht mit dem Stock auf die Handflächen schlug, sondern uns lediglich über die Bank legte und mit dem Stock den Hintern versohlte.
Wir lernten lesen und schreiben, und auch den Hitlergruß. Jeden Morgen mußten wir  in der Klasse antreten und mit erhobenem rechten Arm »Heil Hitler« schreien. Ich beherrschte diesen Gruß perfekt und war sehr stolz, daß ich ihn des öfteren vor versammelter Klasse demonstrieren durfte. Meine Klassenkameraden waren da eher nachlässig. Vielleicht aber fehlte ihnen auch die elterliche Unterstützung. Vor allem die Jungen aus der Siedlung an der Neersbroicher Straße beteiligten sich nur widerstrebend und gaben immer wieder Anlaß zum neuerlichen Üben. 
Der Unterricht wurde immer wieder von Bombenalarm unterbrochen. Die Flugzeuge kamen in den letzten Kriegsjahren auch tagsüber. Sie brauchten die deutschen Jagdflugzeuge nicht mehr zu fürchten, da diese so gut wie ausgeschaltet waren.
Unsere Volksschule hatte keinen ausgebauten Luftschutzkeller. In einem Gartengelände, nicht weit vom Schulhof entfernt, gab es zwar einen sehr niedrigen und feuchten Erdbunker, aber er wurde bei Fliegeralarm nie benutzt. Wenn es bei Alarm die Zeit noch zuließ, konnten Schüler, die nahe der Schule wohnten, nach Hause rennen. Für die anderen gab es eine Regelung, wonach die Schulkinder, die nahe wohnten, bei Fliegeralarm einige andere Kinder aus der Klasse mit nach Hause nehmen mussten. Wenn die Zeit zum Rennen nicht mehr reichte, mussten wir allerdings alle zusammen in den Schulkeller, wo wir mit mehreren anderen Klassen eingepfercht waren. In diesem ganz normalen Keller hätte wohl kaum jemand von uns überlebt, wenn die Schule einmal von Bomben getroffen worden wäre.

Auf die Dauer war das zu gefährlich, so dass der reguläre Unterricht im Herbst 1944 eingestellt wurde. Er fand nun nur noch gruppenweise bei einigen Familien statt, die sich dazu bereit erklärt hatten. So konnte wenigstens ein Teil der Schüler notdürftig unterrichtet werden. Ich zum Beispiel hatte Notunterricht im Hause unserer Nachbarin.
Das leer stehende alte Schulgebäude wurde im März 1945 von den Amerikanern besetzt und erst einmal als Küche benutzt. Vor dem Schulgebäude standen damals prächtige Linden, unter denen die amerikanischen Soldaten in langen Schlangen zum Essensempfang anstanden. Es roch immer verführerisch und manche Mutter hätte sich gerne eingereiht, um eine Portion für ihre Kinder einzukassieren.

Im Spätsommer 1945 nahm die Schule wieder ihren regulären Betrieb auf. Im alten Schulgebäude unterrichteten uns nun wieder unsere alten Lehrerinnen und  Lehrer aus der Nazizeit. Ende 1946 erfolgte dann eine Aufteilung der Schüler nach Konfessionen. Die evangelischen Schüler mussten in eine Schule im Neuwerker Ortsteil Engelbleck wechseln, wir katholischen Schüler blieben in unserer vertrauten Schule.

Zu unserem großen Bedauern übernahm kurz danach Lehrer Liebrecht unsere Klasse und gestaltete den Unterricht nach neuesten pädagogischen Methoden. Am ersten Tag kam er in die Klasse gestürmt, sah den Stock auf dem Lehrerpult liegen und brüllte: „Damit ist jetzt Schluß. Den Stock brauche ich nicht.“ Er griff den Stock, zerbrach ihn und warf ihn durch die Klasse. Wir waren zutiefst beeindruckt. Nach einiger Zeit allerdings beauftragte er zwei Schüler, ihm einen neuen Stock zu besorgen, und die alten Methoden zogen wieder ein. Wir wurden über die Schulbank gelegt und kräftig verdroschen. Aber vielleicht sah auch unser Lehrer Liebrecht keine andere Möglichkeit, für die nötige Ruhe zu sorgen. Immerhin waren in unserer Klasse 40 Jungen und ungefähr genauso viele Mädchen. Wir saßen streng getrennt, auf der linken Seite die Mädchen und auf der rechten die Jungen.


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