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Ingrid Volkmann
Vom Dritten Reich zur Nachkriegszeit
Kindheit und Jugend im Schatten des Reichsarbeitsdienstes

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Das Wiedersehen

Ingrid Volkmann als Kind 1942
Zu Besuch bei den Großeltern in Görlitz-Moys machten mir die Kahnfahrten auf der Neiße besonderen Spaß. Ingrid Volkmann als Kind 1942
aus "Vom Dritten Reich zur Nachkriegszeit" von Ingrid Volkmann

Wie schon geschildert, war mein Vater körperlich unversehrt und ohne Lagerhaft aus dem Krieg nach Fürth zurückgekehrt. Er meldete sich bei der örtlichen Behörde sofort an, wurde als ehemaliger Parteiangehöriger zu Aufräumarbeiten bei der Stadt verpflichtet und sicherte sich aber so seinen Unterhalt, weil ihm damit auch Lebensmittelkarten zustanden. In den ersten Monaten blieb mein Vater ohne Nachricht von der Familie. Die letzten Lebenszeichen von uns stammten aus Sonnenberg im Sudetenland. Den Ort hatte er neben Fürth auch auf seinem Entlassungsschein als Ziel angegeben. Sicher erfuhr er aber sehr bald, dass das Sudetenland, obwohl zunächst teilweise von den Amerikanern eingenommen, wieder der Tschechoslowakei und somit auch dem russischen Einflussbereich zugeschlagen wurde. Es hatte sich zudem herumgesprochen, dass die Deutschen aus dem ehemaligen Sudetengau und aus der späteren Tschechoslowakei ausgewiesen wurden. So fragte er sich ständig, ob die Familie wieder nach Schlesien zurückgekehrt oder an einen anderen Ort evakuiert worden war. Oder tauchte sie bald in Fürth auf? Zunächst funktionierten weder Post noch Bahn, geschweige denn Telefon. So konnte er nur abwarten und hoffen, dass wir – Mutti mit uns zwei Kindern – uns irgendwann meldeten oder auftauchten.
Es ist ein Wunder, dass in diesen wirren Zeiten, zumindest regional, die Postzustellung im Oktober schon wieder in Gang kam. Eines Tages brachte der Briefträger eine an meine Mutter adressierte Postkarte zu ihm nach Fürth. Der Absender war unsere Weggefährtin, die uns bis Hof begleitet hatte und die sich nach der Rückkehr in ihren Heimatort nach unserem Befinden erkundigte. Mein Vater konnte aus den weiteren Zeilen schließen, dass meine Mutter auf der Reise von Schlesien nach Bayern erkrankt und in Hof in ein Krankenhaus eingeliefert worden war. Auch nach mir fragte die Fremde. Mein Vater antwortete sofort, um weitere Einzelheiten über unseren Aufenthalt zu erfahren. Nach wenigen Tagen traf folgender ausführliche Antwortbrief unserer Weggefährtin ein: 

Pfofeld, 10.10.45
Sehr geehrter Herr Paeselt!
Ich erhielt heute Ihren Brief vom 5.10. und bin ganz überrascht, dass Ihre Frau noch nicht da ist. Ich muß annehmen, dass sie noch ernstlich krank geworden ist. Ich will aber hoffen, dass Sie Ihre Frau inzwischen gefunden haben und sie gesund zu Hause ist.
Wenn ich nur geahnt hätte, dass Sie zu Hause sind, dann hätte ich Ingrid mit mir genommen und zu Ihnen gebracht und Sie hätten sicher Ihre Frau vielleicht in Hof holen können. Ihre Frau hat aber gar nicht damit gerechnet, daß Sie da sind. Falls Sie Ihre Frau nicht gefunden haben, was ich jedoch keinesfalls annehmen will, so schreibe ich Ihnen nähere Einzelheiten.
Auf der Fahrt nach Bayern lernte ich Ihre Frau in Dresden kennen und da wir beide in Nürnberg das gleiche Ziel hatten, fuhren wir zusammen. Näheres werden Sie ja durch Ihre Frau erfahren. Unterwegs wurde Ihre Frau krank, sie bekam Durchfall, der immer schlimmer wurde. In Hof war es dann so schlimm, dass Ihre Frau vor Schwäche nicht mehr weiter konnte und ich habe sie dann auf ihren Wunsch ins Krankenhaus gebracht. Es ist dies ein Hilfskrankenhaus für Flüchtlinge, welches in einer Schule untergebracht ist. Sie werden es leicht finden. Dies war am 5.9. und ich bin sehr beunruhigt, dass Ihre Gattin noch nicht daheim ist. Ich selbst konnte mich in Hof nicht länger aufhalten, da ich nach Erhalt meines Passierscheins keine Aufenthaltsgenehmigung mehr erhielt.
Aus den Erzählungen Ihrer Frau habe ich erfahren, dass Ihr Sohn und Ihre Schwiegermutter in Görlitz gestorben sind. Näheres weiß ich darüber auch nicht. Sachen hatte Ihre Frau noch und auch Geld. Sie werden verstehen, dass ich bei der Kürze unserer Bekanntschaft nicht näher unterrichtet bin.
Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie Ihre Frau und Tochter inzwischen gesund zu Hause haben und bitte Sie, mir bald Nachricht zu geben.
Bestens grüßend Friedel P.

Mein Vater hatte diesen Antwortbrief unserer Zufallsbekanntschaft nicht erst abgewartet, sondern sich sofort nach Erhalt der ersten Postkarte zumeist mit Güterzügen auf den Weg nach Hof gemacht. Dort angekommen, hatte er sich von Krankenhaus zu Krankenhaus durchgefragt und uns letztlich aufgespürt. Eines Tages wurde ich an die Tür des „provisorischen Kinderheims“ auf dem Dachboden der Klinik gerufen und da stand ein ziemlich abgemagerter und verhärmter alter Mann vor mir! Erst als ich ihn meinen Namen aussprechen hörte, erkannte ich meinen Vater. Da sprang ich an ihm hoch, er nahm mich in seine Arme und ich brach in ein lautes Schluchzen aus. Doch es waren Tränen der Erleichterung und Aufregung. Hatte ich meinen Vater doch Monate nicht mehr gesehen! Und jetzt wollte er mich abholen! Wenn auch nicht in das Zuhause, welches ich mir vorstellte. Denn „mein Zuhause“ war in den letzten Jahren Jauer gewesen. An Fürth, das ich nur von Stippvisiten kannte, besaß ich nur Fetzen der Erinnerung. Mutti durfte zu meiner großen Enttäuschung noch nicht mitkommen, denn ihr Gesundheitszustand ließ den Transport nicht zu. Ärztliche Bescheinigungen bestätigen ihren Aufenthalt im Hilfskrankenhaus für Flüchtlinge in der Neustädter Schule in Hof vom 5.9. bis 27.10. 1945.

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