Unvergessene Weihnachten. Band 1
38 Zeitzeugen-Erinnerungen.
192 Seiten, viele Abbildungen, Ortsregister. Taschenbuch,
ISBN: 978-3-933336-73-6,
EURO 8,90
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Unvergessene Weihnachten. Band 4
30 Zeitzeugen-Erinnerungen.
192 Seiten, viele Abbildungen, Ortsregister. Taschenbuch,
ISBN: 978-3-86614-135-3,
EURO 8,90
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Drei bewegende Weihnachtsgeschichten

Foto Wolfram Horn
Weihnachten 1959. Die Gebrüder Horn präsentieren sich stolz mit ihren Weihnachtsgeschenken - verschiedenen Musikinstrumenten.
Foto von Wolfram Horn aus der Geschichte "Weihnachten mit Musik" aus Unvergessene Weihnachten. Band 11.

Später Besuch
von Eckhard Müller
Oberholz bei Much, Rhein-Sieg-Kreis im Bergischen Land; Dezember 1945

Geschichte aus Unvergessene Weihnachten. Band 1

Es war Anfang Dezember 1945. Der Zweite Weltkrieg hatte sein Ende gefunden. Seit einem halben Jahr schwiegen die Waffen. Wir erwarteten das erste friedliche Weihnachtsfest seit sechs Jahren.
Das Leben hatte sich zunehmend normalisiert. Obwohl die Menschen in unserer ländlichen Gegend nicht in so hohem Maße unter dem Bombenterror zu leiden brauchten wie die Menschen in den Städten, war auch hier der Kriegsschrecken nicht spurlos vorübergegangen. Nun hieß es, zusammenrücken, denn der Strom von Flüchtlingen und Obdachlosen aus den Ostgebieten und aus den Großstädten hielt an. Wer noch ein Zimmer oder eine Kammer in seinem Hause zur Verfügung stellen konnte, nahm eine Flüchtlingsfamilie bei sich auf. Es gab eine für heutige Verhältnisse unvorstellbare Solidarität. Das wenige, das man selber noch besaß, wurde geteilt mit denen, die alles verloren hatten.
Unser kleines Fachwerkhaus, das ich mit meinen Eltern und mit meiner Großmutter bewohnte, teilten wir seit den letzten Kriegstagen mit einem älteren Ehepaar. Es waren entfernte Verwandte, und sie hatten in einer Bombennacht ihre ganze Habe verloren. Nun waren sie froh, bei uns wenigstens wieder ein Dach über dem Kopf gefunden zu haben.
Die Militärregierung der Siegermächte hatte die zivile Verwaltung in ihre Hand genommen und somit Gesetz und Ordnung wiederhergestellt. Trotzdem waren die Zeiten noch sehr unruhig. Immer wieder machten umherstreunende Banden von sich reden. Es entstanden die wildesten Gerüchte. Man hörte von Greueltaten - auch aus einigen Dörfern in unserer Gemeinde. Denn der Schutz des Gesetzes war noch nicht überall gewährleistet.
Diese umherziehenden Gruppen setzten sich zum großen Teil aus ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus Osteuropa zusammen. Nach Wiedererlangung ihrer Freiheit waren viele von ihnen nicht mehr gewillt oder in der Lage, in ihre Heimat zurückzukehren. Was man ihnen nicht freiwillig gab, nahmen sie sich mit Gewalt. Dabei kam es auch verschiedentlich zu Übergriffen und Racheakten gegenüber ihren früheren Unterdrückern. Nach Einbruch der Dunkelheit war es rat-sam, Fenster und Türen gut zu verschließen. Wer draußen noch irgendeine Arbeit zu verrichten hatte, trug Sorge, sich nicht allzuweit von den schützenden Häusern zu entfernen.
Es war an einem solchen Abend in der Vorweihnachtszeit, ich glaube, es war am Abend des zweiten Advent. Meine Eltern waren eben mit der Stallarbeit fertiggeworden und wir schickten uns an, das Abendbrot zu essen, als plötzlich an unsere Haustür geklopft wurde. Mein Vater begab sich nach draußen, um nachzuschauen. Neugierig gesellte ich mich zu ihm. Ich war damals neun Jahre alt.
Da stand in der Dunkelheit ein gutes halbes Dutzend Männer. In gebrochenem Deutsch baten sie um ein Quartier für die Nacht.
Zögernd ließ mein Vater sie eintreten. Nachdem sie in unserer Wohnstube Platz genommen hatten, konnten wir sie im Scheine der Lampe näher betrachten. Sehr vertrauenerweckend sahen sie nicht aus. Das Leben auf der Landstraße hatte sie gezeichnet.
Während meine Mutter das Abendbrot zubereitete, versuchte mein Vater etwas über das Schicksal der Männer zu erfahren. Nach der einfachen, mit wenigen Mitteln zubereiteten, aber kräftigen Mahlzeit wurde beratschlagt, wie und wo man die Männer für die Nacht unterbringen könnte.
Im Hause selber war es, nicht zuletzt durch unsere Verwandten als neue Mitbewohner, ziemlich eng geworden. Also blieb nur noch die Scheune. Im Scheunenanbau befand sich der Holzschuppen, dort lagerte auch das Heu als Wintervorrat für unsere beiden Kühe. Hier im Heu richteten nun meine Eltern mit allerlei Decken und alten Mänteln ein warmes und bequemes Nachtlager her. Unsere alte Petroleumlam-pe sorgte für die nötige Helligkeit.
Kurz vor Schlafenszeit entschloß sich mein Vater zu einem "Kontrollgang", wie er sich ausdrückte. Es ließ ihm nämlich keine Ruhe, ob sich unsere Gäste auch an die Abmachung gehalten hatten, wegen der großen Brandgefahr auf das Rauchen zu verzichten. Meine Mutter bat mich mitzugehen. Im Beisein eines Kindes - so meinte sie - wäre mein Vater sicherer vor eventuellen Übergriffen.
Als wir den Holzschuppen betraten, bot sich uns im Schein der Laterne ein Bild, das ich bis heute nicht vergessen habe: Da hatte sich ein Teil der Männer unserer Sägen bemächtigt und sie schnitten nun die schweren Stämme, die hier als Brennholz lagerten, in Ofenlänge durch. Die anderen spalteten die klobigen Klötze mit dem Beil zu handlichen Scheiten und stapelten sie auf. Das alles bereitete ihnen ein sichtliches Vergnügen, umso mehr, als sie nun unsere ungläubigen und erstaunten Blicke sahen. Sie erklärten, das sei nur ein kleiner Dank für die freundliche Aufnahme.
Am anderen Morgen sind sie dann nach einem guten Frühstück - nicht ohne ein großes Butterbrotpaket, das jeder von ihnen zum Abschied in die Hand gedrückt bekam - weitergezogen, einer ungewissen Zukunft entgegen.
Viele Jahre sind seitdem ins Land gegangen, doch immer wieder muß ich an jenen Dezemberabend denken, an dem die Angst, die Voreingenommenheit und das Mißtrauen besiegt wurden durch ein wenig Menschenfreundlichkeit.

Mein Weihnachtswunsch: Ein Vater
von Ernst Haß

Geschichte aus Unvergessene Weihnachten. Doppelband 1

Hamburg-Wilhelmsburg; 7. Mai – Heiligabend 1923
In Hamburg-Wilhelmsburg, am Obergeorgswerderdeich Nr. 9, bin ich aufgewachsen. Das Haus, das wir bewohnten, war eine Kate mit Strohdach. Man nannte diese Fachwerkhäuser auch Häuslings- oder Kötnerhaus. Wir waren zu Hause zwei Brüder, mein Bruder August, Audi genannt, 1914 und ich, 1913 geboren. Alle Kinder bei uns am Deich hatten einen Vater, nur wir nicht. Ich litt sehr darunter und fragte: „Mutti, warum haben wir keinen Vater?“
Mutter sah mich mit großen Augen an, aber eine Antwort bekam ich nicht. Manchmal weinte sie, wenn ich wieder davon anfing. Als ich gut sechs Jahre alt war, erzählte unsere Mutter endlich, warum wir keinen Vater hatten. Unser Vater war bei der Kriegsmarine. Sein Schiff ging 1917 unter, und dabei ist er ertrunken. „So, Jungens, nun wißt ihr, warum ihr keinen Vater habt“, endete sie. Dabei kamen ihr die Tränen, und sie lief ins Schlafzimmer, um allein zu sein.
Es hat lange gedauert, bis ich dies alles begriff. Ich ging zu Mutter ins Schlafzimmer, umarmte sie und weinte mit ihr um unseren Vater. Dann lief ich aus dem Haus, setzte mich am Deich nieder und weinte weiter. Ich verfluchte diesen Krieg, der uns den Vater genommen hatte.
Am 7. Mai 1923 wurde ich zehn Jahre alt. An diesem Tag sagte ich zu Mutter: „Ich wünsche mir zu Weihnachten einen Vater!“
Mein Bruder wollte lieber eine Eisenbahn haben. Ich konnte ihn aber umstimmen: Er wollte nun zu Weihnachten auch einen Vater haben. Wir umarmten unsere Mutti und versprachen, daß wir ihr keinen Kummer mehr bereiten wollten. Normalerweise stellten wir jeden Augenblick etwas an, und nicht immer ging es gut aus. Unsere Mutter konnte uns kaum mehr in Schach halten, eine feste Hand mußte her.
Als Audi und ich eines Tages von der Schule nach Hause kamen und den Deich hinunterliefen, hörten wir unsere Mutter singen. Das Stubenfenster war offen. Mein Bruder und ich lauschten am Fenster. Wir hatten unsere Mutter noch nie in dieser Art singen gehört. Was hat das zu bedeuten?
Schließlich gingen wir hinein, fielen Mutter um den Hals und schmusten mit ihr. „Mutti, du kannst aber schön singen, das haben wir gar nicht gewußt!“
Unsere Mutter schmunzelte und meinte nur: „Es hat auch seinen guten Grund!“ Aber verraten hat sie uns nichts. Wir brauchten nicht lange zu bitten, dann sang sie uns abends mit ihrer wunderschönen Sopranstimme in den Schlaf. Mein Lieblingslied war „Stolzenfels am Rhein“, weil darin ein gefallener Soldat vorkam. Ich mochte auch das Lied vom Fremdenlegionär, der in maurischer Wüste gefangen war.
Unsere Mutter veränderte sich in dieser Zeit. Sie lief neuerdings immer dem Postboten entgegen. Wenn er mit einem Brief für sie kam, war sie glücklich und hat ihn sofort gelesen. Hinterher sang sie den ganzen Nachmittag wie eine Nachtigall.
Der Monat Dezember rückte näher, es ging auf Weihnachten zu. Mutter fragte uns Jungen: „Was wünscht ihr Euch zum Weihnachtsfest?“
Mein Bruder sagte nun doch wieder, daß er sich eine Eisenbahn wünsche. Als ich an der Reihe war, antwortete ich: „Mutter, was ich mir wünsche, weißt du schon.“
„Ja, Jungens“, sagte Mutter, „dann wollen wir mal sehen!“
Endlich war Heiligabend. Morgens durften wir Jungen den Weihnachtsbaum schmücken. Mit Buntpapier und Kartoffelmehl, aus dem wir Kleister anrührten, hatten wir Ketten angefertigt und in den Tannenbaum hineingehängt. Er sah schön aus! Mutter lobte uns und freute sich. Wir waren stolz auf unser Werk. Dann mußte sie noch einmal schnell weg, um in Niedergeorgswerder etwas einzukaufen.
Lange dauerte es, bis sie völlig außer Atem wieder nach Hause kam. Es wurde schon dunkel. Immer wieder sahen mein Bruder und ich den Deich hinauf – aber der Weihnachtsmann kam und kam nicht, es war nicht mehr auszuhalten!
Mutter meinte, daß der Weihnachtsmann nun bestimmt bald käme. Er hätte soviel zu tun hat, daß er gar nicht all die vielen braven Kinder besuchen könne. Bei uns wollte er aber auf jeden Fall vorbeikommen, wir seien ja artig gewesen, was wir auch hoch und heilig versprochen hatten. Wir hatten am Heiligtag wirklich nichts ausgefressen.
In dem Augenblick, als Mutter plötzlich aufstand und die vier Lichter am Baum anzündete, wummerte es an der Haustür. Mein Bruder bekam nun doch Angst und versteckte sich blitzschnell hinter dem Sofa. Mutter sah mich mit ihren großen Augen an und sagte: „Erni, mein Junge, dann laß mal dein Weihnachten herein!“
Sie hätten sehen sollen, wie schnell ich zur Tür flitzte und sie aufriß!
Draußen stand aber nicht der Knecht Ruprecht, sondern ein großer Mann, der einen Seesack auf dem Rücken trug. Mutter stand hinter mir und forderte mich auf: „Laß ihn man herein!“ und gab dem Mann einen Kuß.
Unglaublich – mein Weihnachtswunsch war in Erfüllung gegangen: Dieser große Mann wurde unser neuer Vater!
Wir waren glücklich, denn nun hatten auch wir endlich wieder einen Papa, so wie alle Kinder bei uns am Deich. War das ein Weihnachten! – das schönste Weihnachtsfest, das ich je zu Hause erleben durfte.

„Det Christkind is der Palast-Maxe“
Hans Döpping

Geschichte aus Unvergessene Weihnachten. Band 4

Berlin; 1954
Es war in Berlin, wo ich für einige Monate im Außendienst meiner Firma tätig war. Ich hatte ein Zimmer in der Pension von Elisabeth Kopmann, einer resoluten und sehr patenten Frau. Ihr Lieblingsausdruck war: „Ach, Jotte ooch!“, und das drückte ihr großes Erbarmen für alle Welt aus.
Neben mir wohnte Frau Bräutigam, eine junge Lehrerin, die noch auf der Suche nach einer geeigneten Wohnung war. Mit beiden Frauen wechselte ich oft heitere Worte.
In der Zeit vor Weihnachten klopfte Frau Bräutigam an meine Tür. Sie wollte mir etwas zeigen, und so gab sie mir wortlos und lächelnd ein aufgeschlagenes Schulheft und tippte mit dem Finger auf einige Zeilen. Sie waren sauber geschrieben, und so las ich: „Det Christkind is schon älter, hat een Bauch, eene Jlatze, eene joldne Brille un heeßt Palast-Maxe!“
Frau Bräutigam hatte die Kinder ihrer 3. Klasse aufschreiben lassen, wie sie sich das Christkind vorstellen. Dafür durften sie schreiben, wie der Schnabel gewachsen war. So las ich die Zeilen mehrmals, und mein Mund wurde dabei immer breiter. Ich rezitierte gar den Text und lachte Frau Bräutigam an. Dann klappte ich das Heft zu und las den Namen des Besitzers „Willi Stange, Klasse 3“ auf dem Umschlag.
In dem Moment klopfte Frau Kopmann, brachte meine Post und fragte, ob sie mitlachen könnte. So kam es, daß wir bei einer Tasse Kaffee saßen und Frau Bräutigam die Christkindgeschichte erzählte, die sie durch Willis Mutter Liesbeth Stange erfahren hatte:
„Palast-Maxe“ war der ehrenwerte Maurermeister Maximilian Jahne. Er hatte ein arbeitsreiches Leben hinter sich und es zu einigem Wohlstand gebracht. Jedenfalls gehörte ihm ein vierstöckiges Mietshaus. „Un det is mein Juwehl“, pflegte er zu sagen.
So kümmerte er sich auch um dieses gute Stück und hielt Ordnung in allem. An jedem Ersten im Monat klingelte er bei seinen Mietern, kassierte die fälligen Abgaben und quittierte das jedem im Mietbuch. Auch kontrollierte er, ob die Treppe gebohnert und der Flur naß gewischt worden war.
„Un Fahrräder jehörn in’n Keller!“ hatte er angeordnet, „un nich in’n Flur, wa!“ Und weil Jahne auch seinen Stolz über sein Haus zeigte und die Ordnung darin pries, brachte ihm das den Beinamen „Palast-Maxe“ ein.
Liesbeth Stange aber war mit der Miete seit einigen Monaten in Verzug geraten. Sie wohnte mit ihren drei Kindern Horsti, Hildchen und Willichen schon einige Jahre im vierten Stock von Maximilian Jahnes Haus und hatte stets pünktlich bezahlt, was Herrn Jahne zustand. Jetzt aber konnte Liesbeth nicht mehr zahlen, denn das Geld fehlte, weil Berti Stange, Liesbeths Mann und der Vater der drei Kinder, im Kittchen saß. Da konnte er „keene Piepen“ mehr nach Hause bringen. Der „Blödmann“ hatte sich doch „in sein Suffkopp“ zum Mausen verleiten lassen und war dabei erwischt worden. „Denn war er det heulende Elend. Awer da war ’t zu spät.“
Liesbeth bemühte sich nach Kräften, mit den Kindern über die Runden zu kommen, aber das, was sie als Aushilfe beim Pferdemetzger gleich um die Ecke und durch Putzarbeiten verdiente, reichte nicht. – So ein schönes und weites Sozialnetz, wie wir es heute haben, gab es noch nicht. Und Berti hatte noch länger zu brummen. – Nun war Liesbeth schon vier Monate mit der Miete im Rückstand. Der Erste des Monats stand wie ein drohender Riese vor ihr, und das so kurz vor Weihnachten. Jahne würde bald an ihre Tür klopfen, ach du liewer Jott ...
Und dann stand Jahne wirklich in der Tür: ein breiter Kerl mit straffem Bauche, der seine Melone nur in den Nacken schob. Er begrüßte Liesbeth und nickte den Kindern zu. Liesbeth wischte mit der Schürze über einen Stuhl.
Jahne nahm den Hut ab und legte ihn auf den Stuhl. „Ne, lassen Se man, bei Ihn’ n kick ick ma jerne um, ham allens propper. Nu ja, Se wissen ja, weswejen ick jekomm’n bin.“
Natürlich wußte Liesbeth das und sie entgegnete, daß ihr deswegen schon seit drei Tagen schlecht sei.
Nun nahm Jahne doch Platz. Die Kinder standen schüchtern im Zimmer, auf einen Wink der Mutter sollten sie sich verdrücken. Aber Jahne meinte, die sollten auch wissen, was los sei, und er bat Liesbeth, das Mietbuch zu holen. Die junge Frau ging zum Küchenschrank und kramte hinter den Tellern. Jahne wandte sich an die Kinder und versuchte zu ergründen, wer von den Zwillingen Horst und wer Willichen sei. Mit zitternder Hand reichte Liesbeth Jahne das Mietbuch.
Dieser blätterte darin und nickte. „Is ja allet in de Reihe bis dahin, wo Papa uff Reisen jejang’n is. Awer denne is Leere in’t Weltall! Wat mach’n ma nu? – Da schtehn ma nu alle Finfe un ham von Tuten un Blasen kee’n Dunst. Un Schterndaler pinkelt det ooch keene.“
Jahne stand auf und ging einige Schritte auf und ab. „Nu setzen Se sich ooch ma hin, Frau Stange, des beruhicht!“
Dann zückte er kurzentschlossen seinen Füller, setzte sich an den Tisch und quittierte im Mietbuch die rückständige Miete: „Aujust – erhalten, September – erhalten, Oktower – erhalten, November – erhalten, Dezember – ooch erhalten. Na ja, kommt ja bald der Januar – da quittier ick ma eene Vorauszahlung. So, muß noch trocknen, det Märchenbuch.“
Jahne blies auf die Tinte und reichte Liesbeth das Mietbuch zurück. Die starrte auf die Quittungen und war fassungslos: „Herr Jahne, aber Herr Jahne, awer det kann doch nich allens ...“
„Oh, doch“, Jahne putzte seine Brille und hauchte sie an. Er wolle Stanges als Mieter behalten, denn da wußte er, was er hatte. „Eene bessere Mieterin als wie Sie kann sich een Hauswirt jar nich denken. Ick seh det wohl, wie Se Ihre Treppe bohnern. Da jlänzt mir ja de Seele mit, un wenn Se den Flur jemachd ham, denn sin sojar de Bazilln uff Völkerwanderung jejang’n. Det seh ick allens. Und wenn ick de Aborte nachgucke uff de halbe Treppe, denn riech icke förmlich, det Se hier Hand anjeleecht ham. Da kann sojar een Kaiser druffjehn oder ’ne Subrette. Der Herr Berti hat ooch ohne Federlesen zujepackt, wo ’t nötisch war.“ Er lobte auch die Kinder, die immer höflich „Guten Tag“ sagten.
„Also, det is det Eene. Nu ha ick noch wat for euch.“
Jetzt erfuhr Liesbeth, daß Nuschke aus dem Parterre, der so eine Art „Hausknecht“ oder wie die Franzen sagen „Konzieersche“ gewesen war, ausziehe. Da könnten sie einziehen und Frau Stange könne das Regiment übernehmen. Die Miete sei nicht höher als oben und es gäbe noch einen gehörigen Abschlag für die Arbeit. „Bis der Papa von de Montaasche kommt, mogeln mer uns schon durch.“ Auch in seiner Wohnung müsse zweimal in der Woche reinegemacht werden. Sie solle sich das überlegen. Dann wünschte er eine gute Vorweihnachtszeit und verschwand.
Liesbeth Stange saß und starrte vor sich auf den Tisch. Dann verfiel sie in Lachen und Weinen zugleich. Sie drückte die Kinder nacheinander und wischte die Tränen mit ihren Händen in die Schürze. Und dabei soll sie geflüstert haben: „Det war det Christkind, det Christkind war det.“
Wie immer nun das „der kleene Willi“ verstanden hatte, er schrieb es auf: „Det Christkind is schon älter, hat een Bauch, eene Jlatze, eene joldne Brille un heeßt Palast-Maxe.“

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