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Wir Kinder vom Lande
Unvergessene Dorfgeschichten. Band 6

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Karl Satzinger Wohnhaus
Das Torhaus - Wohnhaus von Satzingers 1930 - und die Kirche von Schloß Geyern (Mittelfranken). Foto aus der Geschichte "Meine Mutter, die Magd Babett" von Karl Satzinger
Geschichte von Hans Birwe aus "Wir Kinder vom Lande"

Der Ehering
Bei Kevelaer/Niederrhein; 1945

Der Krieg war endlich vorbei, aber die Wunden, die erallenthalben geschlagen hatte, konnten nicht übersehen werden. Fast allegrößeren deutschen Städte waren mehr oder weniger stark zerstört. VieleMenschen, soweit sie überhaupt noch eine Bleibe hatten, hausten in Kellern,Hausruinen, Behelfsheimen oder auch in Luftschutzbunkern, die notdürftig umfunktioniertworden waren. Besonders schwer hatten die Frauen unter der Not zu leiden, derenMänner vermißt, in Gefangenschaft geraten oder gar gefallen waren. Nicht seltenstanden sie nachts auf, um stundenlang bei eiskaltem Winterwetter in einerMenschenschlange vor einem Brotgeschäft auszuharren, bis die Lieferung eintraf.Die geringen Rationen, die es auf Lebensmittelkarten gab, reichten nicht aus,um satt zu werden. Oft bekam man nicht einmal diese. Mitunter war das Warten inder Schlange vergeblich, weil das letzte Brot wenige Kunden vorher verkauftwurde. Dann war die Enttäuschung der leer Ausgehenden grenzenlos.

In diesen Zeiten unternahmen viele Menschen in ihrerVerzweiflung weite Hamsterfahrten, um bei Bauern einige Kartoffeln, etwasGemüse oder gar kostbare Nahrungsmittel zu erbitten. Wer nichts alsTauschobjekt anbieten konnte, bekam selten etwas. Oft wurden die Bittstellerabgewiesen, nicht weil die Bauern so hartherzig gewesen wären, sondern weil siesich der Scharen von Bittstellern nicht erwehren konnten. Manchmal wurden dieLandleute sogar bestohlen, wenn fremde Hände große Teile ihrer Felder imSchutze der Nacht abernteten. In der Umgebung von Kevelaer, einem bekanntenMarien-Wallfahrtsort am Niederrhein, suchte eine Mutter, deren Mann als vermißtgemeldet worden war und die nicht mehr wußte, wie sie ihre Kinder ernährensollte, einen Bauern auf, den sie um etwas Eßbares bitten wollte. Als der Bauerfeststellte, dass die Frau ihm nichts zum Tausch anbieten konnte, wies er sie ab.Die Frau war so verzweifelt, daß sie zu weinen begann. Da entdeckte der Baueran der rechten Hand der Frau ihren goldenen Ehering und forderte sie auf, ihmdiesen zu geben. Ein paar Kartoffeln und einen schmalen Streifen Speck wäre er ihmwert. Die Frau zögerte. Als der Bauer sich jedoch entfernen wollte, ohne sieweiter zu beachten, streifte sie den Ring vom Finger und gab ihn hin. Sieerhielt die zugesagten Nahrungsmittel, war aber so verzweifelt, daß sie demOrtspfarrer von ihrer schlimmen Erfahrung berichtete. Der war darüber sehrerzürnt. Er versprach der Frau, sich um die Angelegenheit zu kümmern.

Am Sonntag darauf – damals waren die Gottesdienste noch sehrgut besucht – hielt der Pfarrer eine „Strafpredigt“ über die Hartherzigkeitmancher Menschen. Arme Leute, hob er hervor, hätten oft mehr Mitleid mitanderen Notleidenden als solche, die echte Not nie kennen gelernt und immersatt zu essen gehabt hätten. Zum Schluß erzählte er die Geschichte der Frau,ohne Namen zu nennen. Allerdings forderte er den Sünder indirekt auf, denEhering am nächsten Sonntag in den Klingelbeutel zu legen. Anderenfalls würdeer in der Kirche laut den Namen des „Übeltäters“ verkünden. Als der Küster amfolgenden Sonntag den Beutel leerte, fand er neben dem Ring der Frau vierweitere Eheringe. Die Frage, ob es damals in der Gegend bei den Bauern nichtsUngewöhnliches war, Lebensmittel gegen Eheringe einzutauschen, oder ob derbetreffende Bauer ein Sammler war, konnte nie geklärt werden. Jedenfalls hatman danach nichts dergleichen mehr gehört.

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