Leseprobe aus dem Buch:
Wolfgang Balke Wolfgang Balke
Nur nicht mit den Wölfen heulen

Eine Jugend in Neuruppin
1945-1953. Sammlung der Zeitzeugen Band 13
136 Seiten. Broschur
ISBN 978-3-933336-49-1
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Sommerferien genießen?

Collage Balke
Wolfgang Balke 1946 vor dem Forsthaus in Loppow, das seine Familie 1945 auf der Flucht vor den Russen verlassen musste.
Neuruppiner Zwischenspiele
aus "Nur nicht mit den Wölfen heulen" von Wolfgang Balke

Meine Konfirmation hatte ich mit Bravour überstanden, und ich freute mich auf die Sommerferien und die nachfolgenden Herausforderungen auf der Oberschule, als mich und meine Eltern ein unerwarteter Schlag traf: Mein Antrag auf Aufnahme in die Oberschule wurde nach Abschluß der Grundschule im Juli 1951 trotz guter bisheriger Leistungen ohne Begründung abgelehnt.

Natürlich wußten wir, daß der Grund darin lag, daß ich nicht Mitglied bei den »Jungen Pionieren«, sondern aktiv in der »Jungen Gemeinde« war und mich weigerte, »gesellschaftliche Tätigkeiten« zu übernehmen. Das waren aber bekanntermaßen keine Verbrechen und auch offiziell keine Gründe für den Ausschluß von der Oberschule. Daraufhin sprach meine Mutter bei dem Direktor der Oberschule vor. Emil Wankelmann war eine außerordentlich schillernde Persönlichkeit. Angeblich wegen seiner Mitgliedschaft bei den Freimaurern war er nie Mitglied in der NSDAP gewesen und stieg als gelernter, aber politisch unbelasteter Lehrer schnell auf der Karriereleiter nach oben. Er wurde früh »Verdienter Lehrer des Volkes« und Direktor der Fontane-Oberschule in Neuruppin, weil er »schon immer ein glühender Kommunist gewesen war«, wovon die Alteingesessenen, wie zum Beispiel die Familie Blöck, bis Mai 1945 allerdings nichts bemerkt hatten. Ganz im Gegenteil.

In der schwierigen Zeit um 1947 kam Emil Wankelmann häufig zu uns nach Gottberg, um sich einen Sack Kartoffeln abzuholen. Davon wollte er jetzt aber nichts mehr wissen. Meine Mutter hatte jedoch tatsächlich die Courage, nun eine Gegenleistung einzufordern: meine Aufnahme auf die Oberschule. Daraufhin machte ihr Wankelmann unmißverständlich klar, daß er mich nur unter der Bedingung aufnähme, daß ich in die »Freie Deutsche Jugend« (FDJ) einträte. Wenn nicht, dann nicht. Im übrigen gab er meiner Mutter noch eine Lebensregel mit auf den Weg, die ihn treffend charakterisierte. Er sagte: »Wissen Sie, gnädige Frau« – er war ein Kavalier alter Schule – »man muß den Köter immer so führen, daß er einem nicht auf die Leine scheißt!« Damit war das Gespräch beendet.

Meine Eltern erklärten mir die Situation und rieten mir dringend, wie es auch das Büro der »Freiheitlichen Juristen« in Westberlin empfohlen hatte, in die FDJ einzutreten. In mir sträubte sich alles, ich lehnte ab. Nach einiger Zeit des Nachdenkens wurde mir jedoch klar, daß damit für mich maximal ein handwerklicher Beruf möglich gewesen wäre, wenn ich nicht gar durch die zentral gesteuerte Ausbildungsplanung in die Landwirtschaft, zum Beispiel in die »Schweineproduktion« geschickt werden würde. Man hätte sich für mich bestimmt etwas Hübsches ausgedacht! Nach schlaflosen Nächten erklärte ich darum am vorletzten Schultag mündlich meine Bereitschaft zum Eintritt in die FDJ und wurde noch am gleichen Tag im Rahmen der üblichen Massenveranstaltung auf dem Ernst‑Thälmann‑Platz mit dem Jahrgang 1937 in den »stolzen Millionenverband« aufgenommen. Für schriftliche Formalitäten war keine Zeit, denn es war der Beginn der Sommerferien.

Wenige Tage später ging bei uns in Gottberg per Post meine Zulassung zur Oberschule ein. Jetzt konnten die Ferien genossen werden, und ich wunderte mich darüber, wie sehr ich mich freute, zur Oberschule gehen zu dürfen. Es zeigte sich einmal wieder, daß viele Dinge, die man für selbstverständlich hält, ihren wahren Wert erst erkennen lassen, wenn man sie zu verlieren droht oder gar schon verloren hat.

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