Leseprobe aus dem Buch:
Titel Endlich wieder tanzen gehen
Frauen-Erinnerungen 1945-1952
384 Seiten, Klappenbroschur
ISBN 978-3-86614-150-6


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Bildquelle Gerda Steinke
Aus ihrem Konfirmationskleid schneiderte Gerda Steinke sich ein Oberteil, den Rock aus einer Tischdecke. Und dann ging’s los. Endlich auch mal tanzen! Sie war 20 Jahre alt. Foto 1946
Berlin; 1946/47

Eine betörende Stimme 
Gerda Steinke

Es war der 5. Mai 1946. Der schreckliche Kampf um Berlin, die letzten Kriegstage und das schwere erste Nachkriegsjahr lagen hinter uns. Jetzt forderte die Jugend ihr Recht. Zu romantischen Klängen der „Capri-Fischer“, „Sentimental journey“, „Ramona“ oder „Symphonie“ schwebten wir über die wiedereröffneten Tanzflächen. Wir hatten großen Nachholbedarf. An diesem wunderschönen, sonnigen Frühlingstag wollten meine Freundin und ich auch wieder tanzen gehen. Zuerst suchten wir die „Neue Welt“ in der Hasenheide auf; aber dort gefiel es uns überhaupt nicht. So beschlossen wir kurzerhand, wie schon so oft, ins „Schall und Rauch“ am Schiffbauerdamm zu gehen. Ein ungeheurer Andrang vor dem Eingang!

Irgendwie gelang es uns hineinzukommen. Ein Kellner führte uns durch den dichtbesetzten Saal an den letzten freien Tisch in der hintersten Ecke. Na, prima, dachte ich und starrte auf die Wand vor mir, hier sieht mich doch kein Mensch. Der Abend ist gelaufen!
Ich war enttäuscht.
Die Kapelle begann zu spielen, und schon beim ersten Takt hörte ich eine angenehm warme Stimme fragen: „Darf ich bitten?“ – Das war der erste Tanz – nicht zu glauben! Anschließend brachte mich mein Tänzer höflich an den Tisch zurück. Das war‘s wohl.

Seinerzeit war es durchaus üblich, daß in Ermangelung junger Männer zwei Mädchen oder Frauen zusammen tanzten. So wirbelten auch meine Freundin und ich bei „Rosamunde ...“ über das Parkett. Als wir danach zu unserem Tisch zurückkamen, stockte mir beinahe der Atem. Ich glaubte nicht richtig zu sehen: Da saß doch tatsächlich mein Tanzpartner und fragte lächelnd: „Sie haben doch nichts dagegen, daß ich hier sitze?“

Und ob ich was dagegen hatte, ich fand es ausgesprochen frech! Aber er tanzte jeden Tanz nur noch mit mir. Er wich nicht mehr von meiner Seite. Und bald war es mir auch nicht mehr unangenehm. Es war besonders seine Stimme, die mich betörte. Damals war um 22 Uhr Sperrstunde. Als das Lokal schloß, verabschiedeten wir uns, nicht ohne eine Verabredung für’s kommende Wochenende zu treffen.
Hand in Hand durchstreiften wir zwei im Gleichklang der Seelen das Berliner Theaterleben, das wieder aufregend, vielseitig und interessant war und uns in seinen Bann zog, regelrecht „theatersüchtig“ machte. Was für Höhepunkte!

Da verzauberte und bezauberte uns in der Tribüne Viktor de Kowa mit seinem Charme, Carl Heinz Schroth brachte uns in den Kammerspielen Jean Anouilh nahe. Heinz Rühmann begeisterte uns als „Mustergatte“ im damaligen Theater der Film-Bühne Wien und der unvergessene Rudolf Platte saß auf der Bühne des Puhlmann Theaters, rupfte ein Huhn und sang dazu in seiner unnachahmlichen Art: „Ach, Luise, kein Mädchen ist wie diese...“

Kinobesuche standen ganz oben bei den Berlinern. Oft gingen wir sogar zweimal in der Woche ins Kino, auch wenn wir nicht selten nach Karten anstehen mußten. Endlich konnten wir auch amerikanische, englische und französische Filme sehen. Schon mit den ersten Filmen, die ich mit ihr sah, „Das zauberhafte Land“ und „Mädchen im Rampenlicht“, begeisterte mich Judy Garland und ihre großartige Stimme!

In der Deutschen Staatsoper, die seinerzeit im Admirals-Palast spielte, sahen wir „Die Entführung aus dem Serail“ – einmalig! Erna Berger und Rita Streich, zusammen mit Peter Anders. Große Namen. Und erschwingliche Eintrittspreise. Wir besuchten die Neue Scala, das Palast-Varieté und immer wieder die zahlreichen schönen, wiedereröffneten Tanz-Gaststätten. Überall spielten gute Tanzorchester; Musikbox oder Tonband-Konserve kannten wir nicht. Auf den Studentenbällen der Technischen Universität, wo mein Freund studierte, herrschte heiteres, fröhliches Treiben, wenn auch der Magen oft genug knurrte. Aber wir waren jung, voller Optimismus – das Leben lag vor uns – und es konnte ja nur besser werden!

Das Schönste aber damals war, daß wir uns frei bewegen konnten, daß es uns völlig gleichgültig schien, in welchem Sektor jemand wohnte. Es gab nur eine Währung, die Reichsmark, nur einen Magistrat von Berlin – wir waren  e i n e  Stadt. Nie wäre uns in den Sinn gekommen, daß es eines Tages anders kommen könnte!


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