Buchtitel
Barfuß übers Stoppelfeld
Unvergessene Dorfgeschichten
Band 3 und 4. 1918 -1968
384 Seiten mit vielen Abbildungen
Zeitgut Verlag, Berlin.
Klappenbroschur
ISBN 978-3-86614-213-8
 

Vier kostenfreie Abdrucktexte

Dorfgeschichten aus Bayern (2), Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen (siehe unten)

2 Dorfgeschichten aus Bayern und Baden-Württemberg »
aus Wo morgens der Hahn kräht

3 Dorfgeschichten aus Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen »
aus Wir Kinder vom Lande

Die folgenden Texte stellen wir Ihnen gern zum kostenfreien Abdruck zur Verfügung. Als Gegenleistung erwarten wir von Ihnen lediglich die Veröffentlichung eines Quellen-Hinweises mit bibliografischen Daten (siehe links) und einem kleinen Buchcover von mindestens 30 mm Breite. Zudem bitten wir um ein Belegexemplar. Herzlichen Dank!
                                       ________________

Einen Pressetext zu den Dorfgeschichten finden Sie hier »

Bitte informieren Sie uns, wenn Sie eine Veröffentlichung unserer Texte planen. Die Fotos in Druckqualität senden wir Ihnen gerne auf Anfrage zu. E-Mail: info@zeitgut.com         

Band 3 und Band 4. Barfuß übers Stoppelfeld

Buchcover Zwoa Loabi, aufschreib´n! (3.533 Zeichen)

Geschichte von Hermine Nistler-Obermeier, Ende der 1940er Jahre.
Vachendorf, Chiemgau, Bayern 

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Geschwister Foto zum Text
Meine beiden Brüder und ich vor dem Haus der Großmutter in Vachendorf
Im Mai 1945, ich war noch nicht ganz fünf Jahre alt, hatte ich mein erstes einschneidendes Erlebnis. Meine Eltern zogen mit uns Kindern, bedingt durch das Kriegsende, aus dem Fränkischen in das großmütterliche Haus im Chiemgau. Ein LKW barg uns und unseren Hausrat. Mein geliebtes Puppenhaus mußte zurückbleiben, dafür war kein Platz mehr. Kurz vor unserer Ankunft in Vachendorf verloren wir aus dem fahrenden Wagen die Matratzen, alles war aufregend. Noch heute ist mir die Stelle auf der Straße im Gedächtnis.

In dem Dorf lebten neben deutschen Flüchtlingen Polen, Franzosen und Ungarn. Auf Anordnung des Bürgermeisters mußten in jedem Haus Wohnräume für die heimatlosen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Ein jeder fügte sich in das dörfliche Leben ein. Das „Anderssein“ dieser Menschen war für uns Kinder ganz selbstverständlich. Fremde Sprachen oder ein anderer Dialekt der Flüchtlingsfamilien hatten ihre Gültigkeit. So schmeckte uns das egerländische „Fettabrout“ genausogut wie unser bayerisches „Schmoizbrot“.

In der großen Scheune beim Nachbarbauern waren hochoben Seile gespannt. Dort probte eine ungarische Artistenfamilie ihre Seilakte, um für bessere Zeiten in Form zu bleiben; für uns Kinder ein spannendes Zirkuserlebnis, ganz ohne Eintrittsgebühren. Die gleichaltrige Julischka wurde meine beste Freundin.

Ganze Tage verbrachten wir außerhalb des Elternhauses. Auf der Straße gab es für uns Kinder kaum Gefahren. Im Sommer ging‘s mit dem Fahrrad oder zu Fuß zum nahegelegenen Tüttensee. Niemand lehrte uns das Schwimmen, wir brachten es uns selbst bei.

Einmal organisierte unser Lehrer eine Muttertagsfeier für die Mütter, deren Söhne im Krieg gefallen waren. Ich sollte ein langes Gedicht vortragen. Meine Mutter band mir extra neue, weiße Schleifen ins Haar. Vor Aufregung brachte ich jedoch auf der Bühne sämtliche Strophen durcheinander. Ich fühlte die große Enttäuschung meines Lieblingslehrers und schämte mich sehr. Noch lange litt ich unter dem verpatzten Auftritt, denn die Feierstunde sollte doch helfen, die Mütter aufzurichten.
Oft nahm ich den Weg über den Friedhof, wenn ich von der Schule nach Hause ging. Bei gutem Wetter besserte meine Mutter Grabkreuze und Inschriften mit Pinsel und Farbe aus.

Wir Kinder hielten uns gern beim Nachbarbauern in Hof und Stall auf. Dort quetschte ich mir einmal am Schafstall so arg meinen linken Zeigefinger, daß der Fingernagel seitdem gespalten ist. Zeugnis der Kindheit.
Wollten wir das „Häuschen mit dem Herz“ aufsuchen, mußten wir die Altbäuerin um Papier bitten. So griff dann die alte Küberin nach der Katholischen Kirchenzeitung. Jedoch waren die Seiten, wo die Worte „Jesus“ oder „Maria“ geschrieben standen, für unheilige Zwecke tabu. Wie sehr haben wir zu Hause darüber gelacht!

So schön das Landleben für uns Kinder auch war, Hunger hatten wir in dieser Zeit trotzdem. So zeigte ich auf dem Schulhof den Bauerskindern gern meine Bilderbücher unter der Bedingung, daß sie mich von ihrem Pausenbrot abbeißen ließen. Damals gaben die Bauern ihr Mehl beim Bäcker in Zahlung, es wurde in Form von Brot und Backwaren verrechnet. Diese Zusammenhänge kannte ich nicht und war daher sehr beeindruckt, als meine Mitschüler im Bäckerladen ohne Geld ganz selbstverständlich verlangten: „Zwoa Semmeln, aufschreib’n!“
Wie praktisch, dachte ich und verlangte daraufhin ahnungslos: „Zwoa Loabi, aufschreib’n!“

Tags darauf klärte mich meine Großmutter auf. Ich hatte Schulden gemacht und mußte nunmehr einsehen, daß dies eine ganz üble Sache war!
Buchcover Else (4.1522 Zeichen)

Geschichte von Theresa Antholzer von 1942 / 1954
Obertürken, Niederbayern

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Bildquelle T. Antholzer Meine Familie während des Krieges. Unsere Mutter steht in der Mitte, vor ihr stehen meine Schwester Cilli, ich und mein Bruder Alois, ganz links unsere geistig behinderte Schwester Else.

Bildquelle T.Antholzer Wir drei Schwestern einige Jahre später. Else sitzt zwischen mir, links, und Cilli.
„Büable, morga nachmittag brauscht nit Küah hüata, denn bis dau na han i mein elektrischa Zau fertig“, rief mir mein Onkel, freudig erregt entgegen, als ich mittags, von der Schu­le kommend, an seinem Bauernhof vorbeilief.

Das war mit gerade recht, so konnte ich mit meinen Freun­den am Kammelwehr zum Baden gehen. Mein Onkel hatte eine kleine Landwirtschaft, und in den Sommermonaten hü­tete ich seine Kühe gegen ein willkommenes Trinkgeld öf­ters auf der Weide.

Es war in den 50er Jahren, als in meiner Heimat die er­sten elektrischen Weidezäune aufkamen. Zu einer solchen Anlage gehörten spezielle Batterien, das entsprechende Ge­rät für die Umwandlung des Batteriestroms in deutliche spür­bare Stromschläge, Draht für die Stromleitung um die Wie­se und Pfähle oder eiserne Pflöcke mit isolierten Drahthal­tern. Natürlich war das alles nicht ganz billig, so daß die Anschaffung für einen sparsamen schwäbischen Bauern mit einigen inneren Widerständen verbunden war.

Mein Onkel, der bekannt für seine Basteleien war, hatte sich bei der BayWa*) die neue Erfindung angeschaut und nach kurzem Überlegen entschlossen, den Elektrozaun selbst nachzubauen. „Dös wär ja no schöner, wenn i dös net nabrin­ga dät“, sagte er zu seiner Frau, „onsra Wiesn isch ja glei henterm Stall, do brauch i doch koi duira Batterie kaufa, wenn i da Strom glei aus der Steckdos von der Melkkammer nemma ka.“

Gesagt, getan! In die Pfähle des alten Stacheldrahtzaunes drehte er vorschriftsmäßig Stifte mit isolierten Haken und zog einen dünnen Draht, diesen um die Stifte wickelnd, von Pfahl zu Pfahl um die Wiese. Für die letzten 20 Meter von der Wiese über den Hof bis zur Melkkammer verwendete er eine isolierte Leitung, weil ja diese, auf dem Boden liegend, sonst den Strom ins Erdreich abgeleitet hätte. Er klemmte die Drahtenden in einen Stecker und drückte ihn in die Steck­dose. Der Weidedraht stand unter Strom!

Da er sich schon dachte, daß der Haushaltsstrom etwas stärker sein könnte als der offizielle Batteriestrom, versäum­te er nicht, an der Seite zum Nachbargrundstück noch ein Schild mit der Aufschrift
„Vorsicht – Elektrozaun – Lebensgefahr!“
an einen Pfahl zu hängen.

„Rosa, laß die Küah raus, dr Zau isch fertig!“, rief er sei­ner Frau im Stall zu.

Diese öffnete die Tür und schnell eilten die hungrigen Kühe nach der abendlichen Melkzeit der Wiese zu. Der Bauer schloß die Stangen zum Wieseneingang und blickte stolz und er­wartungsvoll auf sein Werk.

Inzwischen erreichte die erste Kuh den Zaun. Sie streckte den Kopf unter dem Elektrodraht zu den saftigen Grasbü­scheln der Nachbarwiese und berührte mit dem Nacken den geladenen Draht. Wie vom Blitz getroffen fiel sie um, wobei sich der Draht im Gehörn verfing. Eine zweite Kuh, erstaunt über die im Gras liegende Genossin, schnupperte neugierig an dieser, berührte sie kurz mit ihrem Maul und wurde schlagartig, wild mit den ausgestreckten Beinen zuckend, umgeworfen.

Der Bauer starrte zunächst wie gelähmt auf die Gescheh­nisse, sprang dann auf die Wiese, um die regungslos am Bo­den liegenden Kühe vom Zaun wegzuziehen. Er packte den Kopf der zweiten Kuh, der auf dem Bauch der ersten lag, und – stürzte augenblicklich ebenfalls zu Boden, wo er be­wußtlos liegenblieb.

Inzwischen war auch seine Frau, die ihrem Mann vergeb­lich vor dieser Elektrobastelei gewarnt hatte, aus dem Stall gekommen und sah das Unglück. Schnell entschlossen zog sie, die Ursache erkennend, den Stecker der elektrischen Leitung aus der Dose und näherte sich den auf der Wiese liegenden Geschöpfen. Da schlug der Bauer langsam wieder seine Augen auf. Allmählich erholte er sich von seiner Be­wußtlosigkeit, blickte um sich und sah das Ergebnis seiner Sparsamkeit: zwei tote Kühe!
Zu seiner Frau aber sagte er: „Rosa, i glaub, meine Gom­mistiefel, dia du mir zum Namenstag gschenkt hast, hand mir’s Leba grettat.“
Wenn man den Wert einer Kuh in der damaligen Zeit be­denkt – das Fleisch konnte nur noch für einen Spottpreis auf der Freibank verkauft werden – hatte sich das Sprichwort wieder einmal bewahrheitet: „Jeder Sparer hat seinen Zeh­rer.“ Die Bauernbuben vom Dorf aber dichteten:

Salomon der Weise spricht:
Kühe hüten mag ich nicht!
Darum muß der Starkstrom her,
und gescheh’n ist das Malheur:
Ja, die Kuh lag schon am Boden,
er muß den Metzger Gottfried holen.

Damit war bei meinem Onkel die moderne Technik vorerst gestoppt und ich konnte als Hütebub wieder ein paar Mark verdienen.

 *) Bayerische Warenhandelsgesellschaft, seit 1923, ursprünglich nur für Waren und Zubehör für die Landwirtschaft.


Aus: Barfuß übers Stoppelfeld. Unvergessene Dorfgeschichten. Band 3 und 4.
Quelle: „Schlüssel-Kinder“, Reihe ZEITGUT, Band 6.
Buchcover Osterfeuer in Fredeburg (4.152 Zeichen)

Geschichte von Heinz Hellmich, Ostern 1946
Fredeburg im Hochsauerland, Nordrhein-Westfalen

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Foto Hubert Giere Aufbau des Fredeburger Osterfeuers. Fotos: Hubert Giere, Bad Fredeburg aus "Mit Zimt und Zucker" Erinnerungen aus Fredeburg von Heinz Hellmich
Bild Hubert Giere
Rrr rrr rrr rrr... scholl es ab Gründonnerstag dreimal am Tag in Fredeburg. Dann zogen die Meßdiener mit ihren Tarren weiter. Foto: Hubert Giere, Bad Fredeburg aus "Mit Zimt und Zucker" . Erinnerungen aus Fredeburg von Heinz Hellmich, Sammlung der Zeitzeugen. Band 48
Ab Gründonnerstag läuteten die Fredeburger Kirchenglocken nicht mehr. „Die sind nach Rom geflogen“, hieß es, „die kommen erst in der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag zurück.“ Was mit den Glocken in Rom angestellt wurde, war mir Siebenjährigem nicht so ganz klar. Tatsache aber war, daß sie nicht mehr zu hören waren. Stattdessen zogen die Meßdiener in Reih und Glied, jedoch ohne die sonst üblichen Gewänder in normaler Kleidung durch die Stadt und veranstalteten mit ihren sogenannten Tarren (Klappern/Rasseln aus Holz) ein lautes, sonderbares Geräusch im Rhythmus ihrer Schritte. Rrr rrr rrr rrr rrr ... hörte man am Morgen, am Mittag und am Abend anstelle des sonst üblichen Läutens. In der Osternacht erklangen aber alle Glocken wieder wie gewohnt zur Auferstehungsmesse, die feierlich in der Kirche gelesen wurde. Am Schluß wurden Feuer und Wasser geweiht, und jeder entzündete an dem Feuer ein Windlicht und nahm es mit nach Hause, um damit das Herdfeuer anzuzünden. Die Gläubigen nahmen auch von dem gesegneten Wasser einige Flaschen mit, damit sie das ganze Jahr genügend Weihwasser im Hause hatten. Am Karsamstag hatten meine Schwester Thea und ich im Wald ein wenig Moos gesammelt und für jeden im Garten ein Nest gebaut. Nun, am Morgen des Ostersonntags, stürmten wir, kaum daß wir richtig angezogen waren, die Treppe hinunter in den Garten, um nachzusehen, ob der Osterhase unsere Nester auch gefunden hatte. Und tatsächlich, darin lagen bunt gefärbte Eier und einige Süßigkeiten, die wir in die Taschen unserer Schürzen steckten. Unserer Mutter zeigten wir aufgeregt, was uns der Osterhase gebracht hatte.
Auf den Feldern außerhalb von Fredeburg wurden am ersten Ostertag drei große Feuer angezündet. Verantwortlich dafür waren die jeweiligen Stadtteile Alt-, Unter- und Oberstadt. Wir Kinder hatten schon während der Fastenzeit viele Baumäste und Reste, die beim Holzfällen übriggeblieben waren, aus dem Wald in Form von sogenannten Bunden zu den vorgesehenen Feuerstellen geschleppt. Für jeden war es Ehrensache, so viele Bunde wie möglich abzuliefern. Am Gründonnerstag wurde die Menge der Bunde dann festgestellt, und es gab für je fünf eine Zuckerbrezel, die wir, auf einem Stock aufgereiht, stolz mit nach Hause nahmen.

Karsamstag begannen dann viele Helfer damit, die Osterfeuer aufzubauen. Zunächst wurden vier etwa 10 Meter hohe Fichtenstämme in einem Quadrat von ungefähr 3 x 3 Metern aufgestellt, untereinander mit Streben aus Holz fest verbunden und mit dem Brennmaterial gefüllt, das wir Kinder gesammelt hatten. Diese großen Türme wurden immer erst am Nachmittag des Ostersonntags fertiggestellt.

Die jungen Burschen hatten in der Karwoche ihre großen Fackeln hergestellt, die aus ölgetränkten Lumpen bestanden, die um das Ende von langen Stöcken gewickelt waren und nun zum Einsatz bereit lagen. Sobald von der Kirche Glockengeläut zu vernehmen war, wurden die Feuer alle gleichzeitig angezündet. Dabei kam es darauf an, die Holztürme so schnell wie möglich von oben nach unten an allen vier Seiten zu entzünden, um ein schönes, gleichmäßiges Abbrennen zu erreichen. Vom Burgberg, der mitten in Fredeburg lag, waren alle drei Osterfeuer zu bewundern. Tagelang wurde noch erbittert darum gestritten, welcher Stadtteil das schönste Feuer abgebrannt hatte.

Später, wenn die Feuer fast heruntergebrannt waren, sammelten sich die drei Mannschaften und zogen mit ihren großen brennenden Fackeln unter lautem Gesang aus drei verschiedenen Richtungen zum Kirchplatz. Dort stellten sich alle im Halbkreis auf, wobei die Fackelträger ihre brennenden und furchtbar rauchenden Fackeln vor sich auf den Boden legten und damit den gesamten Kirchplatz komplett einnebelten. Trotz der Qualmerei gelang es dem Pastor, eine kurze Ansprache zu halten. Er vermied es jedoch, eines der Feuer besonders hervorzuheben. Es wurde ein kurzes Dankgebet gesprochen und zum Schluß „Großer Gott, wir loben dich“ gesungen. Rußverschmiert und mit vom vielen Qualm brennenden Augen kam ich dann nach Hause.

Die alte Tradition der Osterfeuer im Sauerland ist auch heute noch lebendig und wird hoffentlich noch lange bestehenbleiben.

Aus "Barfuß übers Stoppelfeld". Unvergessene Dorfgeschichten. Band 3 und 4
Quelle: Heinz Hellmich "Mit Zimt und Zucker". Sammlung der Zeitzeugen Band 48  
Buchcover Der Korb des Hausierers (4.947 Zeichen)

Geschichte von Georg Hörmann, 1947
Neuburg/Kammel, Bayern

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In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg kamen oft Hausierer ins Dorf, die von Haus zu Haus zogen und in Rucksäcken, Koffern und großen Taschen die Dinge des täglichen Bedarfs zum Kauf anboten: Socken, Strümpfe, Hemden, Pullis, Schuhbändel, Knöpfe, Gummibänder, Reißverschlüsse, Feinseife, Bürsten ...

Der Bedarf war vorhanden, denn die Leute auf dem Lande hatten noch kein Auto, um diese Waren in der Stadt im Haushaltswaren- oder Textilgeschäft einzukaufen. Im Dorf gab es meistens nur kleine Lebensmittelläden, Kolonialwarenhandlung genannt, und vielleicht noch einen Bäcker und einen Metzger.

Als ich etwa sieben Jahre alt war, kam auch zu uns ein Hausierer, schwer beladen mit Umhängetasche und Koffer. Auf dem Rücken trug er einen großen Weidenkorb, den er im Hausgang abstellte. Vorher hatte er so nebenbei gefragt, ob wir – wie die meisten Bauern – auch einen Hund hätten, was Mutter verneinte. Nachdem der Hausierer das Geschäftliche erledigt hatte, bat dieser meine Mutter, ob er den schweren Korb mit Verkaufsartikeln, die er heute nicht mehr benötigte, bei uns stehenlassen dürfe. Er würde ihn dann am nächsten Tag wieder abholen. Hilfsbereit willigte meine Mutter ein und schob den oben mit einem festen Zelttuch verschlossenen Korb unter die Treppe, die zum Obergeschoß führte.

Während unsere Eltern an diesem Novemberabend die Stallarbeit verrichteten, spielte ich mit meinen Geschwistern Verstecken. Erdgeschoß, oberes Stockwerk und sogar der Dachboden dienten als Versteck. Stockdunkel waren Gänge und Zimmer, denn in dieser Jahreszeit bricht die Dunkelheit früh herein und beim Versteckspiel galt die eiserne Regel, daß kein Licht angemacht werden durfte.

Gerade war ich dabei, ein gutes Versteck für mich zu suchen, denn ich freute mich kindisch, wenn es sehr lange dauerte, bis ich gefunden wurde. Die meisten Möglichkeiten waren schon bekannt: unter dem Schreibtisch im Büro meines Vaters, auf dem Fensterbrett hinter den Vorhängen, hinter dem Klavier im Wohnzimmer, in einem alten Kleiderschrank auf dem Dachboden ...

Da erinnerte ich mich an den Korb des Hausierers unter der Schräge der Hausgangtreppe. Das wäre ein Superversteck! Niemand würde darin nach mir suchen, weil Mutter uns extra ermahnt hatte, den Korb in Ruhe zu lassen, da er dem fremden Hausierer gehöre.

Ich versuchte also, das Decktuch des Korbes zu öffnen, indem ich die Verschlußkordel aus den Ösen am Rand des Korbes zog und das Tuch etwas zurückschlug. Damit ich im Korb Platz haben würde, wollte ich einige Utensilien herausholen und hinter dem Korb auf den Boden legen. Also faßte ich hinein ... und hielt plötzlich etwas in der Hand, das sich meinem Griff zu entziehen versuchte. War es vielleicht ein Hase oder ein Hund?

Meine Neugierde war geweckt, ich packte fester zu, beugte mich über den Korb und – oh Schreck – eine menschliche Gestalt erhob sich ruckartig in dem dunklen Korb, sprang heraus, suchte die Haustür und riß mit aller Kraft an dieser, denn sie war verschlossen. Ich war zunächst fast gelähmt vor Angst, sprang dann aber laut schreiend in den Kuhstall zu meinen Eltern: „Vater, Hilfe, Hilfe! Ein fremder Mann ist im Korb, im Hausgang ...!“

Mein Vater lief, schnell nach einem Besenstiel greifend, in Richtung Hausgang, wo ihm die fremde Person, die einen Fluchtweg aus dem Haus suchte, bereits entgegenkam. Vater überwältigte den Fremden und fesselte ihn mit einem Kälberstrick. Es war ein schmächtiger etwa 16jähriger Junge, der gut in dem Korb Platz gehabt hatte. Ich lief sofort über den Kammelsteg zur nahen Polizeistation, um polizeilichen Beistand zu holen.

Wenige Minuten später gestand der verängstigte fremde Junge alles: In der Nacht, wenn alle geschlafen hätten, wäre er aus dem Korb gestiegen, hätte die Hausgang- oder Stalltür von innen geöffnet, um seinen Onkel, den Hausierer, der ab Mitternacht draußen gewartet hätte, hereinzulassen. Dann hätten sie versucht, Geld- und Wertsachen mitzunehmen, denn der Hausierer hätte ja entsprechende Erfahrung, wo die Hausfrauen meistens ihr Geld deponierten. Der junge Dieb wurde in die Arrestzelle der Polizeistation gebracht.
Nun galt es, noch den zweiten Mann dingfest zu machen.
Meine Eltern, der Polizist und ich warteten ruhig in unserem Hausgang bis Mitternacht. Da bewegte sich der Griff der Haustür, der offensichtlich von außen betätigt wurde, und wir hörten ein leises Klopfen. Der Polizist öffnete von innen langsam und leise die Tür – wie es wohl der Junge im Korb getan hätte – und der besagte Hausierer stand davor und ließ sich vor Überraschung sofort widerstandslos festnehmen.

Es stellte sich heraus, daß meine Suche nach dem Superversteck zu einem Diebespärchen geführt hatte, das durch den beschriebenen Trick schon manche Häuser im Schwäbischen und im nahen Württemberg heimgesucht hatte.
Als Belohnung bekam ich vom Neuburger Polizeichef eine ausgediente Dienstmütze, die ich als kleiner Junge jahrelang mit Stolz zu besonderen Anlässen trug.

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