
Erinnerungen 1939-1945
320 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, Chronologie
Reihe Zeitgut. Band 26
Zeitgut Verlag, Berlin.
ISBN: 3-86614-206-0,
gebunden, Euro 13,90
ISBN: 3-86614-208-4,
Taschenbuch, Euro 11,90
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Mutter bekommt kein Geld
Leseprobe von Elfriede Michalik
aus "Frauen an der Heimatfront"
Neunkirchen im Hellertal, Siegerland, Nordrhein-Westfalen;
1945
Die Wege meiner Kindheit waren mit Kriegsgeschrei, Trauer, Leid und vielen Entbehrungen gepflastert. Aber im Nachhinein erscheinen mir die Maientage von damals, als seien sie heller, die Farben der Natur kräftiger gewesen als jemals danach.
An einem solchen Tag im Wonnemonat begann bei uns in der Schule der Unterricht mit dem Lied: „Nun will der Lenz uns grüßen“. Danach lasen wir aus unserem Lesebuch die Geschichte mit der obigen Überschrift. Sie handelte von einer Mutter, die mit viel Liebe und Tatkraft, selbstlos und mit schweißtreibender Arbeit ihren Mann und die Kinder versorgt, ohne dafür entlohnt zu werden. Diese Erzählung, sie ist von Wilhelm Raabe, muß auf mich einen sehr starken Eindruck gemacht haben. Wieso könnte ich mich sonst noch heute daran erinnern?
Schleppenden Schrittes und nachdenklich bin ich damals mittags nach Hause gegangen. Überlegend, was wohl meine Mutter und die Mütter meiner Mitschüler während unserer Schulstunden schon alles hatten erledigen müssen.
Am Morgen wurden im Haus mindestens zwei Feuerstellen entzündet, damit Essen und oft auch Wäsche gekocht werden konnten. Reisig und Holz mußten immer wieder nachgelegt werden, da Kohlen rar und nur auf Bezugsschein erhältlich waren. Zum Glück gab es in unseren Bergen und Wäldern einen gesicherten Holzbestand. Das Fällen der Bäume mit der Axt, das Zerkleinern des Astwerks waren an den oft steilen Hängen gerade für Frauen harte Knochenarbeit. Doch unsere Mütter standen „ihren Mann“, banden perfekt geschlagenes und zerkleinertes Holz zu Bündeln zusammen. Waren wir Kinder dabei, mußten wir die Späne auflesen. Am Abend eines solchen Tages gingen wir alle total erledigt nach Hause. Das Feuer im Herd war dann meistens erloschen; und es gab nur noch Wasser aus der Wasserleitung zu trinken. Da kam es mitunter vor, daß sich unsere Mutter schweren Herzens von einer Mark trennte. Damit wurde ich in die nahegelegene Gastwirtschaft geschickt. In eine Aluminiumkanne zapfte der Wirt einen Liter Biergemisch. Zuhause angekommen, hatte ich den Schaum schon vernascht. Das schale Gebräu aber muß den Eltern köstlich gemundet haben.
Im Frühjahr waren zusätzlich schwere, zeitraubende Arbeiten zu verrichten. Jeder Quadratmeter Boden wurde damals als Nutzfläche gebraucht. Es wurde gesät und gejätet, was das Zeug hielt. In Mutters Garten begann es bald zu grünen und zu blühen. Ob Erdbeeren, Kräuter und Salate; ob Erbsen, Bohnen, Spinat, Kohlrabi, Rot- und Weißkohl, es durfte an nichts fehlen. Dieses alles brauchten wir zum Überleben. Zwischen all dem Nützlichen und Notwendigen ragten große Sonnenblumen empor, deren Kerne wir Kinder so gerne naschten. So wurde den ganzen Sommer und Herbst über geerntet und in Gläsern, Dosen und Steintöpfen konserviert. Jeder Apfel vom Baum wurde verwertet. Man fand ihn als Mus, Kompott, Saft oder als getrockneten Schnitz wieder.
Unsere Mütter hatten also nicht nur im Haus für ihre Familie mit Kochen, Backen, Flicken, Nähen, Stricken, Waschen, Bügeln und Saubermachen alle Hände voll zu tun. Das Bearbeiten von Garten und Feld erforderte ebenfalls ihre ganze Kraft. Selbst hochschwangere Frauen sah man damals auf Wiesen und Feldern arbeiten!
Bei den meisten Familien standen auch noch ein Schwein und eine Ziege im Stall. Zum Füttern wurden Eicheln und Brennesseln gesucht und auf offener Flamme gekocht, egal wie hoch die Außentemperaturen gerade waren.
Mütter wissen sich anscheinend immer zu helfen. Sie machen aus der Not eine Tugend. Sie geben nicht auf. Viele Frauen und Mütter vermochten damals, ein ganzes geschlachtetes Schwein zu verarbeiten. Das begann mit dem Blutschlagen, damit es nicht gerann und später für die Blutwurst verarbeitet werden konnte. Danach wurden die Därme geleert und mit Hilfe eines Löffels und Wasser gereinigt. Bis in die Nacht hinein waren die Frauen mit der Herstellung verschiedener Wurstsorten beschäftigt, die dann gekocht in Gläser und Dosen kamen oder in der Räucherkammer haltbar gemacht wurden.
Wieviele Berufe hat eigentlich eine solche Mutter gehabt?
Wie die Mutter aus Raabes Erzählung bekam sie für all ihre Mühe kein Geld. Man hätte sie auch gar nicht bezahlen können, das hätte jeden Etat gesprengt. Aber von Herzen dankbar sein und ihnen das auch immer wieder sagen, das konnte die Familie wohl. Doch geschah es auch?
So soll hier einmal allen Müttern auf unserem Erdenball ein großes Dankeschön gesagt werden. Vor den Müttern von damals aber eine tiefe Verbeugung!
Frauen an der Heimatfront
Erinnerungen 1939-1945
36 Geschichten von Zeitzeugen
320 Seiten mit Abbildungen
ISBN 978-3-86614-206-0, gebunden
ISBN 978-3-86614-208-4, Taschenbuch
Die Wege meiner Kindheit waren mit Kriegsgeschrei, Trauer, Leid und vielen Entbehrungen gepflastert. Aber im Nachhinein erscheinen mir die Maientage von damals, als seien sie heller, die Farben der Natur kräftiger gewesen als jemals danach.
An einem solchen Tag im Wonnemonat begann bei uns in der Schule der Unterricht mit dem Lied: „Nun will der Lenz uns grüßen“. Danach lasen wir aus unserem Lesebuch die Geschichte mit der obigen Überschrift. Sie handelte von einer Mutter, die mit viel Liebe und Tatkraft, selbstlos und mit schweißtreibender Arbeit ihren Mann und die Kinder versorgt, ohne dafür entlohnt zu werden. Diese Erzählung, sie ist von Wilhelm Raabe, muß auf mich einen sehr starken Eindruck gemacht haben. Wieso könnte ich mich sonst noch heute daran erinnern?
Schleppenden Schrittes und nachdenklich bin ich damals mittags nach Hause gegangen. Überlegend, was wohl meine Mutter und die Mütter meiner Mitschüler während unserer Schulstunden schon alles hatten erledigen müssen.
Am Morgen wurden im Haus mindestens zwei Feuerstellen entzündet, damit Essen und oft auch Wäsche gekocht werden konnten. Reisig und Holz mußten immer wieder nachgelegt werden, da Kohlen rar und nur auf Bezugsschein erhältlich waren. Zum Glück gab es in unseren Bergen und Wäldern einen gesicherten Holzbestand. Das Fällen der Bäume mit der Axt, das Zerkleinern des Astwerks waren an den oft steilen Hängen gerade für Frauen harte Knochenarbeit. Doch unsere Mütter standen „ihren Mann“, banden perfekt geschlagenes und zerkleinertes Holz zu Bündeln zusammen. Waren wir Kinder dabei, mußten wir die Späne auflesen. Am Abend eines solchen Tages gingen wir alle total erledigt nach Hause. Das Feuer im Herd war dann meistens erloschen; und es gab nur noch Wasser aus der Wasserleitung zu trinken. Da kam es mitunter vor, daß sich unsere Mutter schweren Herzens von einer Mark trennte. Damit wurde ich in die nahegelegene Gastwirtschaft geschickt. In eine Aluminiumkanne zapfte der Wirt einen Liter Biergemisch. Zuhause angekommen, hatte ich den Schaum schon vernascht. Das schale Gebräu aber muß den Eltern köstlich gemundet haben.
Im Frühjahr waren zusätzlich schwere, zeitraubende Arbeiten zu verrichten. Jeder Quadratmeter Boden wurde damals als Nutzfläche gebraucht. Es wurde gesät und gejätet, was das Zeug hielt. In Mutters Garten begann es bald zu grünen und zu blühen. Ob Erdbeeren, Kräuter und Salate; ob Erbsen, Bohnen, Spinat, Kohlrabi, Rot- und Weißkohl, es durfte an nichts fehlen. Dieses alles brauchten wir zum Überleben. Zwischen all dem Nützlichen und Notwendigen ragten große Sonnenblumen empor, deren Kerne wir Kinder so gerne naschten. So wurde den ganzen Sommer und Herbst über geerntet und in Gläsern, Dosen und Steintöpfen konserviert. Jeder Apfel vom Baum wurde verwertet. Man fand ihn als Mus, Kompott, Saft oder als getrockneten Schnitz wieder.
Unsere Mütter hatten also nicht nur im Haus für ihre Familie mit Kochen, Backen, Flicken, Nähen, Stricken, Waschen, Bügeln und Saubermachen alle Hände voll zu tun. Das Bearbeiten von Garten und Feld erforderte ebenfalls ihre ganze Kraft. Selbst hochschwangere Frauen sah man damals auf Wiesen und Feldern arbeiten!
Bei den meisten Familien standen auch noch ein Schwein und eine Ziege im Stall. Zum Füttern wurden Eicheln und Brennesseln gesucht und auf offener Flamme gekocht, egal wie hoch die Außentemperaturen gerade waren.
Mütter wissen sich anscheinend immer zu helfen. Sie machen aus der Not eine Tugend. Sie geben nicht auf. Viele Frauen und Mütter vermochten damals, ein ganzes geschlachtetes Schwein zu verarbeiten. Das begann mit dem Blutschlagen, damit es nicht gerann und später für die Blutwurst verarbeitet werden konnte. Danach wurden die Därme geleert und mit Hilfe eines Löffels und Wasser gereinigt. Bis in die Nacht hinein waren die Frauen mit der Herstellung verschiedener Wurstsorten beschäftigt, die dann gekocht in Gläser und Dosen kamen oder in der Räucherkammer haltbar gemacht wurden.
Wieviele Berufe hat eigentlich eine solche Mutter gehabt?
Wie die Mutter aus Raabes Erzählung bekam sie für all ihre Mühe kein Geld. Man hätte sie auch gar nicht bezahlen können, das hätte jeden Etat gesprengt. Aber von Herzen dankbar sein und ihnen das auch immer wieder sagen, das konnte die Familie wohl. Doch geschah es auch?
So soll hier einmal allen Müttern auf unserem Erdenball ein großes Dankeschön gesagt werden. Vor den Müttern von damals aber eine tiefe Verbeugung!
Frauen an der Heimatfront
Erinnerungen 1939-1945
36 Geschichten von Zeitzeugen
320 Seiten mit Abbildungen
ISBN 978-3-86614-206-0, gebunden
ISBN 978-3-86614-208-4, Taschenbuch
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