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Die Geschichte "Große Wäsche mit "Hau-mich-blau" steht in dem Buch
Unsere Heimat - unsere Geschichten
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Große Wäsche mit "Hau-mich-blau"

Foto Horst Beckmann
Eine einfache Drehrolle. Wenn der Rollkasten am Anschlag angekommen war, mußte der Handschwengel in die entgegengesetzte Richtung gedreht werden, um den Kasten zurückzufahren. Es gab auch Modelle, bei denen oben in der Mitte eine Zahnradkonstuktion mit einer Transmission zum Handschwengel angebracht war, der nur in einer Richtung gedreht wurde. Foto: Horst Beckmann

Geschichte von Liselotte Haak

Berlin-Friedrichshain; 1926 - 1930

Das Einerlei meiner Kinderzeit bei den Großeltern wurde öfter durch Waschtage unterbrochen, auf die ich mich immer freute. Alle drei bis vier Wochen war bei Schlüters große Wäsche angesagt, und meine Mama und Tante Hanni kamen zum Helfen. Die Gemeinschaftswaschküche der Pintschstraße 10 befand sich, ebenso wie der Trockenboden, im fünften Stockwerk. Für beide Räume mußte man sich die Schlüssel bei der Portiersfrau holen, heute sagt man Hausmeisterin. Sie war eine zierliche Kriegerwitwe und wohnte mit ihren beiden Töchtern, Grete und Elli, im Parterre des Seitenflügels. Ich ging gern zu Frau Ronner, die sich nett mit mir unterhielt. Sie händigte mir dann die beiden großen Schlüssel aus, die an einem dicken Rindermark-Knochenring hingen. Anschließend bestellte ich noch „die Rolle" (Heißmangel) im nahegelegenen Seifengeschäft.

Am Abend vor dem eigentlichen Waschtag wurde die Wäsche in vier Wannen eingeweicht. Am nächsten Morgen mußte mein Großvater um 4 Uhr früh mit Mutti zusammen die Kochwäsche in den großen Kessel wuchten und ihn mit Holz und Kohlen anheizen. Um 7 Uhr ging dann das Waschen los. Die Wannen standen auf Holzböcken, damit sich die Wäscherinnen nicht zu tief bücken mußten. Man konnte die drei Frauen durch den Wrasen in der Waschküche kaum erkennen, doch ich erkannte sie an ihren Stimmen und ihrem lebhaften Geschwätz. Sie hatten ihre Blusen der Hitze wegen abgelegt und trugen bunte Gummischürzen. Jedes einzelne Wäschestück wurde mit Kernseife auf dem Waschbrett saubergerubbelt. Das war eine große Strapaze, die nur durch ein schnelles Mittagessen unterbrochen wurde. Es gab immer einen vorgekochten Eintopf, meistens Kartoffelsuppe mit Würstchen. Meine Mutti fragte mich dann: „Hast du auch ,Waschblau' besorgt?"

„Ich werde doch dein ,Hau-mich-blau’ nicht vergessen!", antwortete ich und gab ihr die drei Beutelchen des Bleichmittels, das dem letzten Spülwasser zugesetzt wurde. Dreimal spülen war Pflicht. Die Wäsche sollte davon blütenweiß werden. Mutter hatte mir erzählt, daß sie einmal als Kind einem Mitschüler den Auftrag gegeben hatte, im Geschäft „Hau-mich-blau" zu verlangen, worauf der Besitzer im Spaß einen Rohrstock holte, um dem Ärmsten den Buckel „blau zu hauen". Seit dieser Erzählung verlangte auch ich immer bei der „Seifen-Anna" „Hau-mich-blau", was Heiterkeit hervorrief.

Am Nachmittag durfte ich bei der großen Wäsche helfen. Ich betätigte mich beim Auswringen. Nun war auch ich als zünftige Waschfrau verkleidet mit Kopftuch und weinroter Gummischürze. Was mich am meisten erfreute, waren meine Holzpantöffelchen, in Berlin Pantinen genannt. Auch die Großmutter trug Pantinen, denn der Waschküchenboden stand unter Wasser. Man hätte sich sonst die Lederschuhe verdorben und obendrein nasse Füße bekommen. Im Gegensatz zu allen anderen Hausarbeiten bereitete mir die Endreinigung der Waschküche viel Spaß, weil ich alle Geräte und auch den Zementfußboden mit einem Schlauch abspritzen durfte.

Zum Wäscheaufhängen nahm mich meine Mutti immer mit in den Trockenbodenraum. Das war der Dachstuhl des Hauses mit vielen dunklen Ecken. Sie war eine ängstliche Natur und ließ mich erst die Dunkelheit erforschen, ob sich etwa irgendwo ein Bettler versteckt hielt. – Auch wenn wir vom Einkaufen in die verwaiste Wohnung zurückkamen, schickte sie mich immer voraus. Ich mußte unter alle Betten gucken und ihr versichern, daß sich kein Einbrecher dort verbarg. Mich amüsierte das!

Nachdem die Wäsche fast trocken abgenommen war, ging die Aktion mit der Rolle los. Die stand als elefantengroßer Kasten in einem Raum von „Seifen-Annas" Wohnung. Unter dem schweren beweglichen Oberteil befanden sich zwei Holzkegel, um die man blitzschnell die Wäsche wickeln mußte, ehe man mit dem Rollen begann. Der obere Kasten senkte sich dann auf die Kegel und wurde mit einer Kurbel in Bewegung gesetzt, die ich trotz der damit verbundenen Anstrengung gern drehte. Der schwere hölzerne Kasten rollte dann die Kegel hin und her und glättete dadurch die Wäschestücke. Etwa ab 1930 ging der gleiche Vorgang elektrisch vonstatten, und das war nicht mehr so anstrengend. Man mußte nur höllisch aufpassen, daß man nicht zwischen Kasten und Wand geriet, denn es war kein Zwischenraum vorhanden; der Kasten rollte von Wand zu Wand. In dieser Zeit gab es einen sehr populären Schlager, der hieß:

Komm, hilf mir mal die Rolle drehn, 
du bist so jung und stramm; 
doch zier’ dich nicht, genier’ dich nicht, 
wir drehn das Ding zusamm’!


Meine Mutti sang ihn immer, auch andere Gassenhauer wie „Das ist der Frühling von Berlin" oder „Max, du hast das Schieben raus", während wir uns beide ohne Elektrizität abmühen mußten. Eine Rollstunde kostete 30 Pfennige, eine halbe Stunde entsprechend weniger. Anschließend wurden die Wäschestücke sorgfältig gefaltet und in den riesigen Wäschekorb gelegt. Zu zweit trugen wird den Korb mit der gemangelten blütenweißen Wäsche zu Oma, die sie mit einem Seufzer der Erleichterung in den großen Wäscheschrank sortierte. Für die nächsten Wochen war nun erst einmal Ruhe. Zur Belohnung gönnten sich die beiden Frauen ein Täßchen Kaffee; ich bekam einen Kakao und durfte mir beim Bäcker eine Streuselschnecke oder ein Plunderstück kaufen.

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