Zeitzeugen-Erinnerungen aus den Büchern der Reihe Zeitgut Band 8 und Band 22
Und weiter geht es doch
Und weiter geht es doch
Deutschland 1945-1950
361 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, gebunden
Reihe Zeitgut Band 8
Zeitgut Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-933336-10-1
Euro 12,90
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Morgen wird alles besser
Morgen wird alles besser
West-Deutschland 1947-1953
352 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, gebunden
Reihe Zeitgut Band 22
Zeitgut Verlag, Berlin.
ISBN: 978-3-86614-143-8
Euro 12,90
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Vom Zeitgut-Verlag zur Verfügung gestellt
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Sechs kostenfreie Abdrucktexte
zur Währungsreform

Foto zur Währungsreform
20. Juni 1948 in Frankfurt am Main. Die neue Deutsche Mark wurde eingeführt. Das neue Geld hatte wieder Kaufkraft, Voraussetzung für eine durchgreifende Wirtschaftsreform.
Foto BfH, Abdruck honorarfrei
Sechs Zeitzeugen erinnern sich an ihre Erlebnisse bei der Einführung der D-Mark. Diese heiteren, spannenden und ungewöhnlichen Texte stehen Ihnen zum kostenfreien Abdruck bis Ende Juni 2018 zur Verfügung. Als Gegenleistung erwarten wir von Ihnen lediglich die Veröffentlichung eines Quellen-Hinweises mit bibliografischen Daten und mit dem Vermerk www.zeitgut.de

Bitte informieren Sie uns, wenn Sie eine Veröffentlichung planen. Zudem bitten wir um ein Belegexemplar. Herzlichen Dank!

Ihre Fragen beantwortet gern:
Lydia Beier
Öffentlichkeitsarbeit Zeitgut Verlag GmbH, Berlin
E-Mail: lydia.beier@zeitgut.com
Telefon: 030 70 20 93-14 


Zum Stillschweigen verpflichtet
(4.498 Zeichen)

Willi Blaudow
Zwischen Bebra und Hünfeld, Hessen; 19./20. Juni 1948

Zur Zeit der Währungsreform 1948 war ich Grenzpolizist in Hessen. Diese Reform sollte für mich zu einem besonderen Erlebnis werden. Zunächst kannte keiner das genaue Datum der Währungsumstellung, aber viele ahnten, daß so etwas bevorstand, weil die Geschäfte kaum noch Waren anbo­ten. Es wurde alles für den großen Tag gehortet.
Auch wir Grenzpolizisten waren nicht genau informiert. Erst einige Stunden vor dem großen Ereignis bekamen wir Bescheid, daß es kein dienstfrei gäbe und wir uns mit allen Waffen im Grenzpolizeikommissariat einzufinden hätten. Dort erfuhren wir nur, daß eine strenggeheime Sache anlaufen würde. Wir durften nicht mehr in unsere Quartiere, sondern stiegen gleich in die Mannschaftstransportwagen, MTW genannt, und fuhren ohne Bekanntgabe von Gründen und Zielort los gen Westen. Nur der Fahrer wußte, wohin die Reise gehen sollte.
Als wir unseren Bestimmungsort erreichten, war es Nacht geworden. Wir dachten, daß wir nun sicherlich Näheres über unseren geheimen Auftrag erfahren würden, doch wir bekamen nichts zu hören. Aufmerksam wurden wir erst, als wir plombierte Säcke und Alu-Kästen mit der Aufschrift „DEUTSCHE BANK“ in unseren MTW laden mußten. Da dämmerte es diesem oder jenem, daß schon mal die Rede von Geldentwertung und Geldumtausch war. Auf Fragen bekamen wir selbst jetzt noch keine Antwort. Als unser MTW voll beladen war und der Fahrer, ein Bediensteter vom Kommissariat, und wir vier Grenzer zwischen den Säcken und Alu-Kästen gerade noch Platz fanden, kam ein Polizeikommissar zu uns an den Wagen und erklärte in militärisch strengem Ton: „Nun, meine Herren, Sie sind ja zum Stillschweigen verpflichtet worden! Sollten Sie diese Verpflichtung nicht einhalten, werden Sie wegen Geheimnisbruch bestraft! Merken Sie sich das gut! Laden Sie sofort Ihre Waffen durch, bleiben Sie während der Fahrt aufmerksam und schlafen Sie ja nicht ein! Und nun, Gott befohlen, gute Fahrt!“

Wir luden unsere Karabiner durch und ab ging die Post. Was muß das für eine tolle Sache sein, wenn der Polizeikommissar uns Gott empfiehlt?
Der Fahrer, sonst ein rechtes Plapper­maul, blieb schweigsam wie ein Grab. Nur der Bedienstete vom Kommissariat sagte: „Ja, Kollegen, es ist was Großes im Busch, aber zerbrecht euch darüber nicht die Köpfe, ihr werdet alles noch früh genug erfahren. Sollte unterwegs wider Erwarten etwas passieren, sprin­gen wir sofort allesamt aus dem Wagen und kreisen ihn ein. Notfalls müssen wir von der Waffe Gebrauch machen und schießen, aber nur, wenn ich es befehle!“
Das war ja nun deutlich genug. Schießen auf Befehl, da mußte ja etwas sehr Brisantes in den Säcken und Kästen sein!
Endlich äußerte jetzt auch ein Kollege seine Ansicht über diesen Ein­satz: „Ja, wißt ihr, ich war mal kurze Zeit bei einer Bank beschäftigt, und da haben wir immer von den Geldtransportfirmen das Papier- und Hartgeld in solchen Säcken und Alu-Kästen gelie­fert bekommen. Ich glaube fast, wir haben zur Zeit wohl etliche Millionen unter unseren Hintern!“
„Seien Sie ruhig! Warten Sie ab, dann werden Sie alles erfahren!“, wurde die Rede des Kollegen unterbrochen.
Glücklicherweise passierte unterwegs nichts, die Straßen waren fast leer, und so kamen wir schnell vorwärts. Die Kollegen, die Ausblick in Fahrtrichtung hatten, sahen, daß wir an markanten Örtlichkeiten und Ortsschildern vorbei in Richtung Sowjetische Be­satzungszone fuhren. Es war schon gegen Morgen, als wir die erste grenznahe Ortschaft er­reichten und vor einer Bank hielten. Wir mußten nun die Säcke und Alu-Kästen in die Bank schleppen, wo sie von Bankbeamten in Empfang genommen und registriert wurden. Dann be­scheinigten sie unserem Vorgesetzten, was sie bekommen hatten, und weiter ging die Fahrt zur nächsten Ortschaft im Grenzbereich zwischen Bebra und Hünfeld.
Von den Bankbeamten erfuhren wir nun auch, was dieser seltsame Geldtransport zu bedeuten hatte. Es mußten wohl Milliarden Mark sein, die wir und die anderen Kollegen transportierten.
Und es sickerte auch durch, daß es am gleichen Tage neues Geld geben würde. So war es dann auch. Es war der 21. Juni 1948, der Tag der Währungsreform. Jeder bekam vierzig Deutsche Mark aus­gehändigt, das heißt, umgetauscht gegen vierzig alte Reichsmark. Da nun in den Geschäften plötz­lich wieder alles in den Regalen lag, war dieses Geld schnell ausgegeben. Wir Grenzpoli­zisten und wahrscheinlich alle Beamten warteten nun auf unser Gehalt, das uns nun ja auch in DM ausgezahlt werden müßte. So war es dann auch. 

Entnommen aus dem Buch
Morgen wird alles besser
West-Deutschland 1947-1952
39 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen.
352 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, Chronologie, gebunden.
Zeitgut Verlag, Berlin. www.zeitgut.de
ISBN: 978-3-86614-143-8, Euro 12,90

Viel Geld – wenig Geld
(gekürzte Fassung = 5.805 Zeichen)

Else Klein
Gladbeck, Kreis Recklinghausen, Ruhrgebiet – Veerßen bei Uelzen – Insel Borkum/Nordsee; Dezember 1945 bis April 1949

Es kam das Jahr 1947, und ich fühlte mich immer überflüssiger zu Hause. Meine Heinke war inzwischen vier Jahre alt und spielte mit den Nachbarskindern. Wenn sie zu Hause war, paßten gleich fünf Frauen auf sie auf. Ich wollte gerne eigenes Geld verdienen und nicht immer fragen müssen, wenn ich etwas brauchte. Der Direktor des Bottroper Arbeitsamtes bot mir eine Stelle als Kontoristin im D.P. Food Depot (displaced persons food depot) an. Von dort waren bis vor kurzem die Kriegsgefangenen versorgt worden. Nun wurde es ein Umschlagplatz für Lebensmittel und Care-Pakete. Die eintreffenden Care-Pakete wurden ausgepackt, der Inhalt sortiert und neu verpackt für die Kinderschulspeisung herausgegeben. Der Betrieb lag an der Grenze zu Essen-Karnap. Ich fuhr jeden Morgen mit der Straßenbahn bis Bottrop-Mitte und von dort mit einem LKW bis zum Betrieb. Ich bekam eine Arbeit im Büro zugewiesen und war froh, etwas Sinnvolles tun zu können und Geld zu verdienen.
Geld konnte man in der Zeit am leichtesten auf dem Schwarzen Markt „verdienen“. Es gab inzwischen eine „Zigaretten-Währung“. Als über 21jährige hatte ich bei den letzten Zuteilungen auch Zigaretten und sogar einmal eine Flasche Schnaps bekommen. Da ich weder rauchte noch trank, hatte ich beides gut verwahrt.

Eines Tages bekam Papa im Büro Besuch von einem Bottroper Geschäftsmann, von dem man wußte, daß er über sehr viel Geld verfügte. Plötzlich klingelte das Telefon. Papa war am Apparat und bat mich, Zigaretten herüberzubringen. Ich fragte: „Du kennst den Preis?“
„Ja“, sagte er „der Herr, der bei mir ist, zahlt dir den Preis.“
Ich brachte ihm zehn Zigaretten und kassierte 300 RM.
Wenig später ein weiterer Anruf: „Du hast doch noch eine Flasche Schnaps?“
„Gewiß, doch auch nur zum Schwarzmarktpreis.“
Erneut kassierte ich 300 RM. Etwas später wanderten auch noch meine letzten zehn Zigaretten zum Büro. Meine Ausbeute betrug insgesamt 900 RM. Nun war ich reich und überlegte, was ich mit dem Geld anfangen könnte. Im August bekam ich Urlaub und beschloß, mit Heinke nach Borkum zu fahren, wo ich mich mit meiner Freundin Rosemarie traf. Wir nahmen Quartier im Nordseehotel, einem Spitzenhotel direkt an der Kurpromenade. Meine 900 RM reichten für drei Wochen Unterkunft und Verpflegung sowie für die Hin- und Rückfahrt. Wir verlebten eine unbeschwerte Zeit im Wasser und am Strand, erfreuten uns an Konzerten und den herrlichen Sonnenuntergängen am Meer. Prächtig erholt und braungebrannt kamen wir wieder in Gladbeck an.
Meine Arbeit nahm mich nun die ganze Woche in Anspruch. Den Sonntag genoß ich, indem ich mich mit Heinke beschäftigte.
Zum Herbst wurde die Brotqualität immer schlechter. Brot wurde nun weitgehend aus Maismehl gebacken und hatte eine eigenartige gelbliche Farbe. 
Hatten wir bis zu Währungsreform 1948 reichlich Geld, mit dem wir nichts kaufen konnten, so gab es nun plötzlich Ware genug, aber wir hatten kein Geld!
Mit 40 DM, die wir am 20. Juni pro Person erhalten hatten, konnte man wahrlich keine großen Sprünge machen. Doch voller Freude malten wir uns aus, was wir alles kaufen würden, wenn das Geld dafür reichte. Wenn man genug sparte, dann konnte man sich so manchen Wunsch erfüllen. Mir hatte der Urlaub auf Borkum so gut gefallen, daß ich beschloß, auch 1948 wieder dorthin zu fahren. Diesmal wohnten wir jedoch wesentlich bescheidener bei den Eltern meiner ehemaligen Arbeitsmaid. Ich selbst hatte nun meine Vorliebe fürs Meer entdeckt. Immer, wenn ich später an Urlaub dachte, dann sah ich nur das Meer vor mir.
Die Normalisierung der Versorgung mit Lebensmitteln brachte es mit sich, daß unser Betrieb allmählich überflüssig wurde. Und so erhielten wir alle zum 31. März 1949 unsere Kündigung. Ich hatte mich schon sosehr daran gewöhnt, eigenes Geld zu haben, daß ich mir schlecht vorstellen konnte, finanziell wieder völlig abhängig zu sein. Als daher einer meiner Kollegen, der eine Bier- und Spirituosenvertretung für Bottrop und Gladbeck übernommen hatte, mich fragte, ob ich für ihn den Raum Gladbeck betreuen würde, nahm ich das Angebot an. Es waren zwar nur minimale Beträge, die ich dabei verdienen konnte, doch es war besser als gar nichts.

So machte ich mich in den ersten Apriltagen auf die Suche nach Kunden. Man hatte mir den Rat gegeben: Versuch erst einmal Lebensmittelhändler für die Bierbestellungen zu gewinnen, und dann such dir einen Bierverleger, der das Bier von der Brauerei bezieht und an die Geschäfte weiterliefert. Da wir in Gladbeck-Rentfort nicht unbekannt waren, hatte ich nach verhältnismäßig kurzer Zeit Bestellungen für zwanzig Kästen Bier in der Tasche. Nun also wollte ich einen Bierverleger suchen. Ich kannte keinen und fragte darum meinen Vater. Der meinte: „In der Kampstraße muß einer wohnen, Klein heißt er, der hat früher unsere Kantine auf der Zeche mit Getränken beliefert.“
Am 4. April 1949 betrat ich zum ersten Mal den Hof in der Kampstraße, der dann für 18 Jahre mein Zuhause werden sollte, und sah zum ersten Mal den Mann, mit dem ich nun schon über 40 Jahre verheiratet bin. Herr Klein war gerade dabei, sein Tempo-Dreirad zu waschen, als ich vor ihn trat, um ihm Bier zu verkaufen. Er bat mich ins Haus und meinte zuerst, er habe selbst genug Bier zu verkaufen. Doch als ich ihm erklärte, daß ich bereits Aufträge für 20 Kästen habe, bestellte er. Das war mein erster Erfolg – jedoch auch der letzte! Denn nicht das Bier hatte sein Interesse geweckt, sondern ich!
Noch am selben Nachmittag kam ein Anruf, ich möge doch noch einmal vorbeikommen, man brauche für eine private Feier, die Verlobung der jüngsten Schwester, einige Flaschen Wein. Daraus entwickelte sich unsere Beziehung, die am 23. Juni 1949 zur Verlobung und am 25. März 1950 zur Hochzeit führte.

Entnommen aus dem Buch
Morgen wird alles besser
West-Deutschland 1947-1952
39 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen.
352 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, Chronologie, gebunden.
Zeitgut Verlag, Berlin. www.zeitgut.de
ISBN: 978-3-86614-143-8, Euro 12,90

Der Beginn der freien Marktwirtschaft
(2.458 Zeichen)

Marianne Ludorf
Oberhausen-Sterkrade, Nordrhein-Westfalen; 1948 

Als die Deutschen nach dem verlorenen Krieg 1945 die Suppe auslöffeln mußten, die Adolf Hitler ihnen eingebrockt hatte, hatte man keine Zeit für Rachegefühle. Meine Familie, acht Personen, hatte das Inferno überlebt, aber nun hungerten wir entsetzlich. Es gab nichts Eßbares zu kaufen. Reichsmark hatten wir genug, aber was konnte man damit anfangen? Alle Geschäfte waren geschlossen.
Meine Mutter, damals 50 Jahre alt, hat unsere Familie durch ihre Hamstertouren notdürftig ernährt. Kurztouren dauerten einen Tag und gingen ins nahegelegene Münsterland. Wir erwarteten sie dann sehnlichst am Abend. Manchmal kam sie auch mit leeren Taschen und erzählte weinend, wie man sie mit dem Hund vom Bauernhof gejagt oder als „Hamsterweib“ beschimpft hat. Bei einer solchen Gelegenheit tröstete mein Onkel sie mit den Worten: „Warte, wenn die Bauern wieder auf dem Markt ihre Produkte anbieten, dann werfe ich denen die Eier an den Kopf!“
Mit seinen Worten zauberte er mir Bilder von Eßbarem vor die Augen, daß mir das Wasser im Mund zusammenlief. Dieser Phantast! Ein Markt voll mit Dingen, die man einfach kaufen kann? –
Das schien mir unmöglich. Ich war acht Jahre alt, als der Krieg ausbrach und jetzt 16, ich kannte es nicht anders, als daß alle Waren rationiert waren.
1948 kam dann die Währungsreform. Als ich mich eines Tages auf meinem Schulweg dem großen Markt in Oberhausen-Sterkrade näherte, vernahm ich einen großen Tumult. Neugierig lief ich näher. Da bot sich mir folgendes Bild: Vor der ausgebombten Ruine der Clemenskirche – umgestürzte Marktstände, Obst und Gemüsekisten flogen durch die Gegend, ebenso Eier und Kartoffeln; Kohlköpfe rollten über die Steinbrinkstraße!
Das alles wurde von einem Riesengeschrei begleitet. Ich fand die Szene beängstigend und brachte mich schnell in Sicherheit. Im Davonlaufen fielen mir die Worte meines Onkels ein und ich empfand eine innere Genugtuung. Der Hunger damals hatte auch weh getan.
Das war die erste Demonstration, die ich erlebt habe; ohne Wasserwerfer und berittene Polizei. Der Stadtbevölkerung waren die Preise der Bauern zu hoch, und das war ihre Antwort darauf. Man hatte das unter sich geregelt. Die Bauern senkten die Preise und die Stadtbevölkerung schien zufrieden. Zu derartigen Tumulten kam es nicht mehr. Der Einstieg in die freie Marktwirtschaft, in der bekanntlich Angebot und Nachfrage den Preis regeln, verlief nicht immer ganz friedlich.

Entnommen aus dem Buch
Morgen wird alles besser
West-Deutschland 1947-1952
39 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen.
352 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, Chronologie, gebunden.
Zeitgut Verlag, Berlin. www.zeitgut.de
ISBN: 978-3-86614-143-8, Euro 12,90

Foto Dorothe
Ende Sommer 1950. Familie Voigtländer vor ihrem "Opel Kapitän" bei einem Ausflug zu Verwandten. Die Autorin steht links vor ihrem Vater. Foto: Dorothea Voigtländer

Der Geldmantel
(leicht gekürzte Fassung = 6.647 Zeichen)

Dorothea F. Voigtländer
Bonn, Nordrhein-Westfalen –Zürich, Schweiz;1948

Er war schwer, sehr schwer und sehr dick.  Zum Glück war es draußen noch frisch in jenem Frühjahr 1948, damit sich niemand wundern konnte, wieso unser Onkel Jean einen so warmen Mantel trug. Denn eigentlich war es ein alter Militär­mantel, auf links genäht von unserer Oma, und er war stark gefüttert. Aber was sollte das alles?
Wochenlang hatten alle an dem Mantel gewerkelt, wir kleineren Kinder hatten aus anderen Stoffen große und kleine Lappen geschnitten, sie sortiert und umsäumt, „denn die Lappen müssen fest und sicher sein“, so hatte es unsere Oma erklärt. Doch warum die Erwachsenen so aufgeregt waren und immerfort tuschelten, das wußten wir Kleinen nicht. Aber irgendetwas sehr Wichtiges war im Gange, das spürten wir. Wir schnappten Wörter auf, von denen wir noch nichts gehört hatten, wie „Währungsreform“ und „Kopfgeld“. Aber auch Bemerkungen wie „bald besseres Essen“ oder „wieder volle Läden“ fielen.
Wir Kinder standen staunend daneben, während die Oma besonnen und überlegt den Mantel mit den großen und kleinen Lappen auf der Innenseite benähte, sie ganz fest mit Fäden umrandete, nach oben hin mit Knopflöchern und Knöpfen versah, um viele große und kleine Säckchen daraus entstehen zu lassen. Sogar der Kragen wurde vergrößert. Unter den alten Kragen wurde ein zweiter genäht.

Tage- und nächtelang saßen die Tanten und die älteren Cousinen um diesen Mantel herum, der wie ein Kunstwerk behandelt wurde, und sprachen davon, daß er uns helfen sollte „für die Zukunft“, während die Nadeln in den Stoff hineinglitten und die Fäden straff gezogen wurden, meist in doppelten Lagen. Dieses Bild sollten wir Kinder nie vergessen.
Onkel Jean mußte den Mantel immer wieder anprobieren, damit die Änderungen schnell angepaßt werden konnten. „Die Zeit drängt!“ mahnte Oma leise, während die Vorhänge in der Küche zugezogen wurden, denn niemand durfte vom Innenleben dieses Mantels etwas erfahren. Wir Kinder waren streng angehalten, darüber zu schweigen. Über die großen und kleinen Taschen, fest und sicher am Innenfutter angenäht, wurde schließlich noch eine Lage, ein zweites Futter aus einem aufgetrennten Mantel, gelegt. Wenn Onkel Jean das Schmuckstück ausbreitete, sah man einen ganz normalen Mantel, dessen Innenfutter neu glänzte. Das eigentliche Innenleben des alten Militärmantels war unsichtbar geworden. Stumm bestaunten wir Kinder Omas Werk, während die Großen hier und dort noch herumfingerten, prüften und uns dann an einem Abend, als alles fertig war, hinausschickten. Es war spät geworden, Kinder gehörten zu dieser Zeit ins Bett.
Doch ich konnte nicht schlafen. Ich hörte die leisen Schritte der Großen durch den Flur hin- und hergehen, und die Aufregung und Neugier trieben mich in das Kämmerchen neben der Küche, wo im Normalfall Vorräte gelagert wurden, die aber schon längst aufgebraucht waren. Von hier aus konnte ich in die Küche blinzeln. Staunend sah ich die vielen Geldscheine auf dem Küchentisch liegen. Eine Tante schrieb Zahlen in eine Liste. Und Namen.
„Du hast also 1000 Reichsmark gegeben, und du 500“, sie wandte sich an die eine oder andere Tante oder an die unterschiedlichen Onkel, die die Geldscheine erneut zählten und mit der Liste verglichen. Danach wurden sie in die vielen kleinen und großen Taschen des Mantels gesteckt, die Taschen und Täschlein wurden oben zugeknöpft. Dann fielen die Worte „Zugfahrt“ und „Schweiz“. Jetzt allmählich konnte ich mir einen Reim darauf machen. Der Onkel sollte mit diesem Mantel, der für mich und sicherlich auch für die anderen zum „Geldmantel“ geworden war, in die Schweiz reisen. Aber wie? Und warum mit so viel verstecktem Geld?

Für uns Kinder ging der Alltag weiter. Wir spielten, wir aßen, was wir in die Finger bekamen, denn die Kartoffeln wuchsen damals nicht in den Himmel, sie wurden tatsächlich abgezählt. Die Großen waren sehr viel schweigsamer als früher, es wurde geflüstert, und Oma saß abends neben dem Ofen und betete den Rosenkranz rauf und runter. Wir Kinder drückten uns vor diesen frommen Stunden, wir fanden das langweilig. 
Als es Wochen später an der Haustür klingelte, war ich zufällig die erste, die sie aufmachen durfte. Draußen stand Onkel Jean, ziemlich dünn geworden, aber er trug immer noch seinen dicken Mantel. Er fragte zuerst nach Oma. Die kam schon angelaufen durch den langen Flur, nahm ihn fest in ihre Arme und weinte vor Freude.
Natürlich wollten wir Kinder wissen, was da eigentlich passiert war. Doch erst viel später erfuhren wir, daß der Grund des Geschehens die Währungsreform gewesen war, als die Deutsche Mark, die fast aussah wie US-Dollarscheine, eingeführt wurde und jeder Deutsche 40 DM zum Start bekam. Sparguthaben wurden auf 10 Prozent der ursprünglichen Summe abgewertet, über Nacht waren so die kleinen Sparer ihres Vermögens beraubt. Die Hälfte des Geldes wurde außerdem auf einem Festkonto blockiert, davon wurden später noch einmal 70 Prozent gestrichen.
Onkel Jean war mit seinem „Geldmantel“ sicher bis in die Nähe der Schweizer Grenze gelangt, dort war er dann bei Nacht über die „grüne Grenze“ geschlichen, mit großem Risiko, erwischt zu werden. Doch er schaffte es und kam bis  Zürich. Dort zahlte er das Geld auf ein Konto ein, das unser Vater lange vorher schon eingerichtet hatte, denn eigentlich hatte unsere Familie vor den Nazis nach Zürich fliehen wollen. Unser Vater hatte während des Krieges einer christlichen Widerstandsgruppe angehört und im Untergrund gelebt. Auch das erfuhren wir erst sehr viel später.
So hatte unsere Familie ihr Geld in Schweizer Franken sicher angelegt und konnte dem Neustart gelassen entgegen­sehen. Auch einigen Freunden, die sonst mit Nichts dagestanden hätten, konnten wir helfen.

Schwarzmarkt und Hamsterfahrten waren nun vorbei. Mit der Währungsreform waren die Läden wieder voller Waren, nur das Geld war durch die Abwertung knapp.
Schließlich erlaubten die Alliierten auch wieder den Karneval. In Anspielung auf das durch Bomben zerstörte Köln und auf die Währungsreform sang Jupp Schmitz 1949 im Refrain seines ersten Karnevalsliedes, das zum meistgespielten Schlager jener Jahre werden sollte:

Wer soll das bezahlen,
wer hat das bestellt,
wer hat so viel Pinke-pinke,
wer hat so viel Geld?

In den nächsten Jahren fuhren wir immer mal in die Schweiz, wir Kinder durften auf dem Züricher See mit dem Boot fahren, wir hatten ja „für die Zukunft vorgesorgt“. Oma durfte noch bis 1955 miterleben, wie es wieder aufwärts ging. Sie war stolz auf ihre Kinder.
Was den „Geldmantel“ betrifft, der war eines Tages verschwunden. Schade. Eigentlich hätten wir ihn als Andenken behalten sollen. Man weiß ja nie ...

Entnommen aus dem Buch
Morgen wird alles besser
West-Deutschland 1947-1952
39 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen.
352 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, Chronologie, gebunden.
Zeitgut Verlag, Berlin. www.zeitgut.de
ISBN: 978-3-86614-143-8, Euro 12,90

Hochzeit mit Hindernissen
(gekürzte Fassung = 4.223 Zeichen)

Rudolf Schröder
Wiesbaden - Lübeck 1948

... Jeder wußte etwas anderes über die bevorstehende Währungsreform. Einige ganz Schlaue kannten nicht nur das genaue Datum, sondern auch schon den Umstellungskurs. Man hörte obendrein noch von Gaunern, die besonders älteren in Gelddingen nicht so erfahrenen Leuten Wertgegenstände abgeschwatzt hätten. Ansonsten waren die meisten der wenigen verfügbaren Waren einfach aus den Läden verschwunden. Alles wartete auf den großen Knall. Und er kam!
Bei der standesamtlichen Trauung am Sonnabendvormittag waren nur die Trauzeugen und einige Freunde anwesend. Meine Schwiegermutter und eine Tante mußten sich um das Hochzeitsessen kümmern. Mein Schwiegervater hatte sich um einen hübschen Brautstrauß bemüht. Er erhielt ihn mit der Auflage, die Blumen nach der Geldumstellung in der neuen Währung zu bezahlen. Die Reichsmark war zwar noch gültig, doch niemand wollte sie mehr annehmen.
Der Hochzeitsschmaus war bescheiden. Ich glaube, es gab eine Suppe, dann wohl Fisch, weil der in Lübeck leichter zu beschaffen war, und einen Nachtisch. Der mitgebrachte Wein wurde allseits geschätzt.
Nach den Bestimmungen konnte das alte Geld, die Reichsmark (RM), in das neue umzutauschende Geld, die Deutsche Mark (DM), gewechselt werden. Vorgesehen war eine Währungsumstellung von zunächst 60 Reichsmark im Verhältnis 1:1. Jeder Einwohner konnte sich sofort sein „Kopfgeld“ von 40 DM abholen. Die restlichen 20 DM sollten im August ausgegeben werden. Jeder, ob Greis oder Säugling, war also für kurze Zeit gleich arm oder reich.
Für uns hatte der Umtausch allerdings einen Haken. Ausgerechnet am Tag X waren wir in einer fremden Stadt praktisch ohne Geld. Man bekam die 40 DM nämlich nur am Wohnort, der im Personalausweis eingetragen war. Um den zu erwartenden Riesenandrang des Umtausches schnell zu bewältigen, wurden die Lokale für das Wechseln schon am Sonntag früh geöffnet. Doch was nützte es uns?
Meine Frau wohnte in der französischen Zone und ich war in der amerikanischen Besatzungszone gemeldet. Eine gemeinsame Wohnung hatten wir noch nicht. Unsere Rückfahrkarte war zum Glück bezahlt, doch wie sollten wir die Fahrt und die ersten Tage nach der Heimkehr ohne einen Pfennig überstehen?
Viele kinderreiche Familien hatten nicht genug Geld zum Umtausch zur Hand. Das wurde in gewisser Hinsicht unsere Rettung. Schwager und Schwägerin bekamen mit drei kleinen Kindern 200 Deutsche Mark. Sie hatten als Flüchtlinge aus Pommern jedoch kaum Geld. Ich konnte ihnen etwas von unserem geben. Dafür gaben sie uns, gewissermaßen als Überbrückungshilfe, das für zwei Kinder eingetauschte Kopfgeld. Nach unserer Rückkehr wollten wir dann sofort Geld eintauschen und ihnen das geliehene zurückzahlen. Es klappte alles. Auch die Schwiegereltern gaben uns zu gleichen Bedingungen noch einen geringen Betrag. Gleich am Tage nach unserer Ankunft schickten wir das geliehene Geld postwendend zurück.
Ein Wunder war geschehen: Mit dem Währungsschnitt füllten sich über Nacht Warenlager und Schaufenster. Es gab wieder Dinge zu kaufen, an die sich viele kaum noch erinnern konnten. Nun ging es wirtschaftlich wieder aufwärts.
Allerdings holte mich der Wechsel von der Reichsmark zur Deutschen Mark nach 20 Jahren noch einmal ein: Eine Tante hatte nach dem Krieg in Franken mit Heimarbeitern eine kleine Fabrikation von Einkaufstaschen aus Bast begonnen. Sie machte damals recht gute Geschäfte in Reichsmark. In meinen letzten Studienmonaten hatte sie mir einmal tausend Reichsmark gegeben, nicht geliehen; nur wenn es mir gutginge, dann könnte ich sie ja zurückgeben, sonst sollte die Sache vergessen sein. Später zahlte ich ihr, wie in der Verordnung für den Geldumtausch festgelegt, für dieses Geld 100 DM zurück. Von Zinsen war nicht die Rede gewesen.
Nun also rief mich ein mir völlig unbekannter Herr an. Er wäre ein Bruder der Tante und von ihr beauftragt, von mir die geliehenen tausend Mark, nebst Zinsen, einzuziehen. Er bitte um Überweisung.
Meine Überraschung war perfekt! Immerhin konnte ich das unverschämte Anliegen unter Hinweis auf die Umtauschkriterien und meine Rückzahlung gleich zurückweisen. – Damit war nun für meine Frau und mich die Währungsreform endgültig gelaufen.

Entnommen aus dem Buch
Und weiter geht es doch
Deutschland 1945-1950
45 Geschichten und Berichte von Zeitzeugen.
361 Seiten mit vielen Abbildungen, Ortsregister, Chronologie, gebunden.
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ISBN: 978-3-933336-10-1, Euro 12,90

80 Deutsche Mark auf die Hand ...
(2.280 Zeichen)

Hans-Heinrich Vogt
München 1948

Vielleicht genoß ich das besondere Vertrauen des alten Herrn, weil ich mich bemühte, seinen Filius über die Klippen der Schulzeit hinwegzulotsen. Ich gab ihm Nachhilfestunden.
Der Privatunterricht für lernunwillige oder lernunfähige Schüler war mein festes Standbein in den Stürmen der finanziellen Turbulenz meines Studiums. Wann immer sich Gelegenheit bot, einem Filius oder einer Filia die Grundzüge des Englischen, des Lateinischen oder der Mathematik nahezubringen, nahm ich sie wahr. Dabei spielten meine eigenen Fähigkeiten eine nur untergeordnete Rolle, lernt man doch selbst am besten, indem man lehrt. Gewiß, meine Fundamente, die ich der eigenen Schulzeit verdankte, waren nicht schlecht, aber nie habe ich Deklination oder Dreisatz so souverän beherrscht wie in meiner Zeit als Nachhilfelehrer.
Wer die Qualität meiner Bemühungen anzweifelt, tut mir unrecht. Ich bekam in der Regel eine Mark für 60 Minuten, in seltenen Fällen 1,50 Mark, und nur bei rothschildverdächtigen Eltern erlaubte ich mir, zwei Mark zu berechnen. Ich tat mein Bestes, wenngleich das Beste in Relation stand zum Honorar, zugegeben. Die Versuchung, die Gunst der Angst vor der Zeugnisausgabe zu nutzen, brachte mich dazu, pro Woche über 30 Nachhilfestunden durchzustehen, mehr als die Pflichtstundenzahl eines arbeitsamen Studienrates!

Highlights sind mir in Erinnerung geblieben. So die Trauer über die 80 Mark, die sich angesammelt hatten, als ich dabei war, einen faulen Medizinstudenten aufs Vorphysikum vorzubereiten. Just zu diesem Zeitpunkt kam am 20. Juni 1948 die Währungsreform – über Nacht. Kein Anspruch mehr auf Bezahlung. Da drückte mir beim nächsten Besuch der alte Herr Papa mit einem Lächeln 80 neue Deutsche Mark in die Hand!
Das war das Doppelte des Vermögens, das Otto Normalverbraucher am 20. Juni von Staats wegen besaß. Ich mußte damals an die Sperlinge denken, die der himmlische Herrgott trotz aller Widrigkeiten ernährt.
Ernährung – ein wichtiges Stichwort in der Ära kümmerlicher Lebensmittelrationen. Ist es ein Wunder, daß ich den Unterricht bei der Tochter des Bäckers rein zufällig immer in die Zeit der nachmittäglichen Kaffeestunde verlegte?
Ein gesättigter Pauker vermochte sein Wissen weit besser an die Frau zu bringen. 

Entnommen aus dem Buch
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