Buchcover
Halbstark und tüchtig
Jugend in Deutschland
1950-1960
320 Seiten, viele Abbildungen

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Wie Elvis

Bildquelle Ingo Becker-Kavan
„Hausmusik“ bei der Silvesterfeier 1958 in unserer Wohnung. Meine Freunde Horst und Gunther (erster und zweiter von links und ich hinter meinem Bruder Gero, träumten von einer eigenen Band. Gero spielte in den 60er Jahren in einer Beat-Band.

Hamburg-Horn; 1957–1960

Wie Elvis
gekürzte Geschichte von Ingo Becker-Kavan

... Zu dieser Zeit, 1957, hatte sich für uns Halbwüchsige schon längst ein Wandel in der Unterhaltungsmusik vollzogen: weg von den Pferdehalfter-, Hawaii- und Försterhausschlagern hin zu der „unmöglichen amerikanischen Musik“. ....

Zum äußeren Zeichen meiner Verbundenheit mit dem „King“ ließ ich mir wie mein großes Vorbild bis zum oberen Ende des Ohrläppchens, von der häuslichen Obrigkeit gerade noch geduldet, Koteletten wachsen. Überhaupt war die Frisur ein heißes Thema unter uns Jungen. Natürlich schoben wir den an sich fälligen Haarschnitt immer – so weit es nur ging – hinaus, um mit möglichst langen Haaren zu imponieren und vielleicht auch ein wenig älter auszusehen. Besonders erfolgreich war darin keiner von uns.
Meine Bemühungen, zum gemeinsamen Abendessen in der Küche die zwischenzeitlich verräterisch gewachsene Haarpracht mit Frisiercreme der Marke „Brisk“ zu bändigen, waren meist vergeblich. Ein kurzer Blick von Mutter reichte, um die gefürchtete Bemerkung zu veranlassen: „Die Loden müssen ab. Morgen gehst du zum Friseur!“

Da dieses Schicksal unausweichlich war, gab es für uns Jungen nur eines: einen Friseur zu finden, der an den Haaren keinen allzu nachhaltigen Kahlschlag verursachte. Nicht wie in der Kinderzeit, als mit der Haarschneidemaschine der gesamte Hinterkopf und auch die Seiten bis weit über die Ohren unbarmherzig von den Haaren befreit wurden.
Mit den Jahren hatten wir zum Façon­schnitt wechseln dürfen, und den machte am besten der Friseurmeister August Engel. Er hatte seinen kleinen Frisiersalon in einem älteren, im Krieg beschädigten Mehrfamilienhaus an der Horner Landstraße. Draußen über der Tür hing, wie es sich für einen Friseur gehörte, der Messingteller als Zeichen der Zunft. Er war an einem Eisenstab befestigt und schwang im Wind. Nach Feierabend wurde er abgehängt.

Es dauerte nicht lange, und wir drei Brüder waren bei August Engel Stammkunden, besser gesagt, bei seinem Gesellen Rudolf, den wir besonders mochten. Leider verließ Rudolf ziemlich bald den Salon, wohl nicht zuletzt, weil dem Meister die Zahlung des Gesellenlohnes zuviel wurde. Lieber arbeitete er mit Lehrlingen, denen damals praktisch nur ein Taschengeld gezahlt wurde.
Ein Kinderhaarschnitt kostete im „Salon Engel“ bis zur Konfirmation 75, danach 90 Pfennige. Zur Konfirmation gratulierte August Engel mit einer Glückwunschkarte ins Elternhaus und nahm uns sozusagen in die Welt seiner Erwachsenen auf. Jedenfalls bezahlten wir dann wie alle anderen den vollen Preis.
Ich ließ mir gerne vom Meister selbst die Haare schneiden, auch wenn bei ihm alles ein wenig länger dauerte. Er erzählte dabei Anekdoten aus seiner eigenen Lehrzeit irgendwo im Holsteinischen, davon, daß seinerzeit alles mit Handbetrieb gemacht wurde, da elektrische Geräte und Strom noch Luxus waren. Überhaupt seien morgens immer eine Reihe von Männer zum Rasieren erschienen, was heute kaum noch vorkomme.

Mir gefielen die Geschichten, führten sie mir doch eine völlig unbekannte Welt vor Augen, auch wenn ich die meisten von ihnen mehrfach hörte. Irgendwie unterschieden sie sich dann doch immer.
Mitte der fünfziger Jahre, also zu Zeiten des frühen Elvis Presley, durfte ich meine Frisur mit dem braven Linksscheitel ändern. Ich ging zu August Engel und verkündete, fortan ohne Scheitel, mit längeren Haaren über den Ohren und in der Mitte Bürstenschnitt frisiert werden zu wollen.

Nachdem er den Schnitt zu meiner Zufriedenheit ausgeführt hatte, stand ich unentwegt vor dem Spiegel, um die Seitenhaare sorgsam nach hinten zu kämmen. Das war keine einfache Sache. Später wurden die Haare am Hinterkopf zusätzlich noch zusammengekämmt. Brav, aber dennoch auf der Höhe der Zeit, verpaßte August mir auch diese Variante, zu der ich mir die Koteletten wie Elvis wachsen ließ.
Eines Tages wurde das Haus, in dem sich der „Salon Engel“ befand, abgerissen. Doch gestattete man dem Meister, wenige Schritte von der Baustelle entfernt eine Holzbude zu errichten, um sein Geschäft weiter betreiben zu können. Wovon hätten er und seine Familie sonst auch leben sollen?

Bei Fertigstellung des neuen Wohnblockes wurde im Souterrain ein Raum mit eigenem Eingang eingerichtet, der den „Salon Engel“ künftig aufnahm. In der Etage darüber bezog der Meister eine Wohnung. Er stellte seine uns seit Jahren bekannte Salonausstattung in den neuen Geschäftsraum – und alles war eigentlich wie früher.
Eine Änderung brachten die Jahre allerdings doch mit sich. Offensichtlich wollte von den Jungen keiner mehr Friseur werden. Und so war August Engel einer der ersten, der Mädchen in die Lehre nahm. Das war damals fast eine kleine Sensation, denn Frauen im Herrensalon waren bis dahin undenkbar gewesen.

Während meiner gesamten Schulzeit ging ich zu Meister Engel zum Haareschneiden, auch noch als Student, ebenso als Referendar. Immer erkannte mich der Meister sofort wieder und erkundigte sich nach meinem Werdegang und dem meiner Brüder.
Mitte der siebziger Jahre riß der Kontakt ab, besser gesagt, ich nahm mir nicht mehr die Zeit, nach Horn zu fahren, nur um dort zum Friseur zu gehen.


Bildquelle Ingo Becker-Kavan
Als Elvis-Fan kaufte ich mir, sobald es meine Finanzen zuließen, Singles zum Preis von vier, später fünf Mark; so auch diese mit dem Titel  „Hound Dog“. Ich besitze sie heute noch.

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